Indiens Straßenhunde spalten die Bevölkerung: über 25 Millionen herrenloser Hunde werden von den Einen gehasst, von den anderen geliebt
Experten schätzen die Hundepopulation in Indien aktuell auf über 25 Millionen Hunde. Das enorme Wachstum verbunden mit der hohen Bevölkerungsdichte bringt zahlreiche Probleme mit sich. Herrenlose, wildlebende Hunderudel teilen sich den ohnehin engen Lebensraum mit Menschen, denen überwiegend das Geld für ihr eigenes Überleben fehlt. Diese prekäre Situation ruft Hundehasser auf den Plan, die von der Regierung radikale Maßnahmen zur Dezimierung der Hundepopulation fordern.
Die Tiere seien für etwa 17 Millionen Hundebisse jährlich verantwortlich, erklärt Rozario Menezes. „Ich sehe in meiner Praxis das entsetzliche Leiden, das diese Köter verursachen.“ Der Kinderarzt aus Goa ist Vorsitzender der Organisation „Menschen für die Ausrottung von Straßentieren“. Seine Forderung: Indien müsse – „wie alle anderen zivilisierten Nationen“ – eine Politik betreiben, wonach Hunde entweder ein Heim haben oder im Tierheim und dann beim Abdecker landen. „Die Sicherheit der Menschen muss an oberster Stelle stehen.“
Problem Tollwut: Impfungen oft zu teuer
Viele Inder sind der Ansicht, dass Tierschützer statt der Tiere lieber Menschen ernähren sollten. 230 Millionen Inder hungern. Auf dem Welthungerindex schneidet das Land weit schlechter ab als die Nachbarn Pakistan, Bangladesch und Nepal. Sonya Ghosh, eine Universitätsdozentin, gibt beispielsweise umgerechnet 500 Euro monatlich für die Hundeverköstigung aus, mehr als ein indischer Lehrer verdient. Warum sie das Geld nicht für hungernde Menschen ausgeben möchte? „Dafür ist die Regierung zuständig und die kümmert sich nicht“ so ihre Meinung dazu.
Doch auch was die Kontrolle der Straßenhunde anbelangt, sieht der Staat mehr oder weniger tatenlos zu. Der Grund: Laut Artikel 51A(g) der indischen Verfassung ist es die Aufgabe jedes Bürgers, die Umwelt zu schützen und Mitgefühl für jedes Lebewesen zu zeigen. Nach indischem Recht ist es somit illegal, Straßenhunde von ihren Lagerplätzen zu vertreiben – auch wenn die vor der eigenen Haustür sind.
Wenn die Behörden aktiv werden, fangen Hundefänger die aufdringlichen Tiere zwar ein – aber nur, um sie ein paar Tage später geimpft und sterilisiert wieder an ihrem Stammplatz abzuladen. Das staatliche „Animal Welfare Board of India“ lässt keinen Zweifel, auf wessen Seite die offiziellen Stellen stehen: Sollte ein Straßenhund schnappen oder beißen, „soll dem menschliche Aggressor die alleinige Schuld zuerkannt werden“. Doch gab es in den vergangenen Jahren immer wieder große „Säuberungsaktionen“, bei denen gleich mehrere Tausend Hunde vergiftet oder erschossen wurde. Die Angst vor der Tollwut ist gerade in Indien allgegenwärtig. Jährlich sterben daran rund 20.000 Menschen.
Der Kinderarzt Menezes versucht vor dem Obersten Gericht die Gesetze zum Schutz der Hunde zu lockern. Die Richter sollen entscheiden, ob es erlaubt sein soll, einen Straßenhund zu töten, wenn der sich als öffentliches Ärgernis erwiesen habe.
„Statt der Hunde sollte lieber die Menschenpopulation in Indien dezimiert werden“, sagte dazu Geeta Seshamani, die in Neu-Delhi den angesehenen „Verband zur Ausrottung der Grausamkeit gegenüber Tieren“ betreibt. „Menschen gibt es in Indien viel zu viele.“ Ein Ende des Kampfes rund um Indiens Straßenhunde ist also weiter nicht in Sicht.