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Debatte Gebrauchshundesport – wenn wenig Wissen auf viel Meinung stößt

(c) Bettina Bodner / Jede widerrechtliche Verwendung wird belangt.

Es war der 2. Oktober 2023, an dem sich das Leben der Bewohner in der kleinen oberösterreichischen Gemeinde Naarn für immer ändern sollte. Nichts ist mehr wie es vor diesem Tag war. Grund dafür ist der tödliche Angriff dreier American Staffordshire Terrier, welche sich während eines Spaziergangs von ihrer Halterin losrissen und die an ihnen vorbeijoggende 60-jährige Nachbarin auf dem angrenzenden Feldweg regelrecht zerfleischten. Dass ein solcher Vorfall nicht ohne Konsequenzen bleiben darf, ist unbestritten. Dass in Österreich aber die in diesem Themenbereich meist wenig kompetente Gemeindepolitik anlassbezogene Gesetze ohne nachhaltigem Verbesserungspotential immer bevorzugt, um dem Begehren der zu diesem Zeitpunkt verständlicherweise geschockten Bevölkerung Folge zu leisten, ist inzwischen Usus geworden.

Zweifelhaftes Verhalten seitens des Rasseclubs und der betroffenen Züchterinnen

Die Halterin wurde selbst von ihren Hunden so schwer gebissen, dass sie ins Krankenhaus musste. Wohl im Affekt wurde der einzige Rüde der beiden im ÖKV (Österreichischer Kynologenverband) und FCI (Fédération Cynologique Internationale) offiziell als Züchter der Rasse American Staffordshire Terrier registrierten Frauen nur etwa drei Stunden nach dem Vorfall eingeschläfert. Dass auf der offiziellen Website des Österr. Club für American Staffordshire Terrier (ÖCAST) nur kurze Zeit nach dem Vorfall ebendiese Zucht nicht mehr aufschien, wirft ebenso Fragen zum Verantwortungsbewusstsein auf, wie auch die Tatsache dass der Rüde sofort eingeschläfert wurde, obwohl außer ihm auch zwei weitere in der Zucht aktive Hündinnen am Vorfall beteiligt gewesen sind. Das Einschläfern wurde zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht behördlich angeordnet, da dem meist weitere Untersuchungen des Hundes aber auch der Umstände vorausgehen. Die beiden in der Zucht aktiven Hündinnen wurden ebenfalls von den Halterinnen ohne jede Anordnung in die Hände Dritter verbracht. Wo sich diese aktuell befinden, ist unbekannt. Diese Vorgehensweise, sowohl seitens des offiziell anerkannten Zuchtclubs als auch der beiden Züchterinnen, darf berechtigte Zweifel aufwerfen, zumal weil sich sowohl Züchterinnen als auch Zuchtclub in der Vergangenheit besonders der positiven Darstellung der Rasse verschrieben hatten. Dass man nach so einem Vorfall plötzlich nichts mehr mit der betreffenden Zucht zu tun haben möchte, ist bestenfalls verwunderlich.

Dass auf der offiziellen Website des Österr. Club für American Staffordshire Terrier (ÖCAST) nur kurze Zeit nach dem Vorfall ebendiese Zucht nicht mehr aufschien, wirft ebenso Fragen zum Verantwortungsbewusstsein auf, wie auch die Tatsache dass der Rüde sofort eingeschläfert wurde, obwohl außer ihm auch zwei weitere in der Zucht aktive Hündinnen am Vorfall beteiligt gewesen sind.

„Schluss mit den Hetzkursen“

Dass die Züchterinnen ihre Hunde offiziell auch im IGP Sport (Internationale Gebrauchshunde Prüfungsordnung) oder auch Gebrauchshundesport genannt, ausbildeten, rief wie bereits in der Vergangenheit die Gegner dieses Sports auf den Plan und es dauerte nicht lange, bis diverse Medienhäuser sich der Thematik annahmen. So titelte eine Tageszeitung gar mit „Schluss mit den Hetzkursen“ und der Grundstein für eine öffentliche Debatte war gelegt. Seither geben sich „Expertinnen“ überwiegend aus dem Tierschutzbereich die Klinke in den Medienstudios in die Hand und überschlagen sich förmlich mit Beweisen und Begründungen, warum diese Sportart längst nicht mehr zeitgemäß und demnach für Private zu verbieten wäre.

Der Berufsstand der Hundetrainer ist in der Erlangung von Qualifikationen vollkommen frei und ohne jede Reglementierung. Und genau das ist das Hauptproblem und der erste Ansatzpunkt, um Beißunfälle zukünftig zu reduzieren bzw. zu vermeiden.

Was in all den Diskussionen jedoch kein Gewicht hat, ist die fachliche Qualifikation der Diskussions- und Interviewpartner. Dass es in Österreich keinerlei zu erfüllende Mindestanforderungen gibt, um sich selbst Hundetrainer/Verhaltensberater nennen zu dürfen, wird gerne vergessen. De facto ist es völlig egal, ob jemand einen 8-stündigen Wochenendkurs, einen online Fernkurs oder einen universitären Lehrgang absolviert hat. Der Berufsstand der Hundetrainer ist in der Erlangung von Qualifikationen vollkommen frei und ohne jede Reglementierung. Und genau das ist das Hauptproblem und der erste Ansatzpunkt, um Beißunfälle zukünftig zu reduzieren bzw. zu vermeiden. Daneben ist die inhaltliche Zusammenstellung von Qualifikationskursen vollkommen variabel und frei. So wird ein großer Fokus auf die tierschutzgerechte Ausbildung und Erziehung von Hunden gelegt, doch wird dabei völlig außer Acht gelassen, dass Hunde ebenso individuell sind wie wir Menschen. Stattdessen werden einerseits Hilfsmittel pauschal als positiv oder negativ bewertet und entsprechend erlaubt oder abgelehnt und andererseits die Art und Weise der Ausbildung und Erziehung pauschal als tierschutzkonform oder tierschutzrelevant eingestuft. Dass es unter den über 400 anerkannten Hunderassen allein schon aus der historischen Entwicklung und Selektion heraus völlig unterschiedliche Charaktere gibt, findet dabei überhaupt keine Beachtung. Und mit der selben Ignoranz werden die unterschiedlichen Formen der Auslastung von Hunden bewertet. Wie so oft bei emotional behafteten Themen gibt es nur schwarz oder weiß.

Dass diese Trainer, die gegen die Ausübung des Schutzhundesportes wettern, selbst noch keinen einzigen Hund in diesem Sport ausgebildet haben und daher über keinerlei haltbares oder glaubwürdiges Wissen verfügen können, wird vollkommen außer Acht gelassen.

Dass diese Trainer, die gegen die Ausübung des Schutzhundesportes wettern, selbst noch keinen einzigen Hund in diesem Sport ausgebildet haben und daher über keinerlei haltbares oder glaubwürdiges Wissen verfügen können, wird vollkommen außer Acht gelassen. Bei der aktuell stattfindenden Debatte gegen diese Art des Hundesports geht es längst nicht mehr darum, die gesellschaftliche Ordnung nach diesem Vorfall wieder herzustellen oder das dadurch erschütterte Sicherheitsgefühl der betroffenen Gemeindebürger wieder zu festigen.

Was der Gebrauchshundesport (IGP) wirklich ist

Der IGP Sport besteht anders als eben dargestellt nicht nur aus dem Beißen wildgewordener, unkontrollierbarer Bestien. Es ist ein allumfassender, zeitlich sehr aufwändig zu betreibender Hundesport, bei dem Hund und Mensch eine sehr eng zusammenarbeitenden Einheit bilden.

Faktencheck

Der IGP Sport

  • besteht aus 3 Bereichen: Fährtenarbeit, Gehorsam, Schutzarbeit
  • ist zeitlich sehr intensiv und erfordert ein hohes Maß an Disziplin und Engagement
  • ist von enormer Bedeutung für die verantwortungsbewusste Hundezucht, da potentielle Zuchthunde auf ihre Wesensfestigkeit getestet werden
  • erlaubt es dem Hund wie kaum ein anderer Sport seine natürlichen Anlagen als Beutegreifer in einem kontrollierbaren Rahmen auszuleben

Obwohl marketingaffine Unternehmen uns weismachen wollen, dass wir uns „Zruck zur Natur“ entwickeln, haben wir uns als Mensch und Gesellschaft vermutlich noch nie weiter von der Natur entfernt als dieser Tage. Wanderer werden beim Selfie-Shooting regelmäßig von Mutterkühen attackiert, Hunde tun gut daran ihre Natur schleunigst zu vergessen und es sich wohlwollend gefallen zu lassen, unter dem Wirtshaustisch plötzlich unangekündigten Besuch vom Kind des benachbarten Tisches zu erhalten. Denn während sich der Mensch heute in jedweder Situation kaum noch zurücknehmen muss, ist die Natur aufgefordert, diese Anpassung in vollem Umfang zu übernehmen. Wir informieren uns ausführlich über die Features des neuen Handys. Wenn wir uns aber einen neuen Hund zulegen möchten, soll das schnell und unproblematisch gehen. Wir wollen uns weder über die Rasseeigenschaften einlesen, noch auch nur einen Mindestaufwand für Erziehung und Beschäftigung des hübschen Modehundes auf uns nehmen. So quellen Tierheime geradezu über und Menschen die sich selbst Tierschützer nennen, wettern vor Kameras gegen die Hundezucht als solche. Und weil wir Menschen heute Eigenverantwortung nicht mehr können, sieht sich die Politik gezwungen, die gesellschaftliche Ordnung durch immer mehr und immer abstrusere Gesetze wiederherzustellen.

Und diese Entwicklungen sind der Grund, warum das geforderte Verbot des IGP Sports vollkommen unbrauchbar ist. Es ist unter all den Millionen Hundehaltern eine kleine Minderheit, die sich mehrmals pro Woche ins Auto setzt und teils erhebliche Anfahrten zum Hundesportplatz in Kauf nimmt, um den zeitaufwändigen IGP Sport zu trainieren. Ein solches Verbot würde daher nur jene treffen, die schon jetzt bei weitem mehr Engagement und Verantwortung für die Hundehaltung aufbringen, als der Durchschnittshundehalter. Zudem entbehrt die Unterstellung, der IGP Sport würde Hunde scharf machen jeder logischen Begründung. Ja denken Sie denn wirklich, jemand fährt mehrere Kilometer zu einem Hundeplatz, um seinen Hund scharf zu machen, wenn er das ganz bequem auch im eigenen Garten, Keller oder Hof machen könnte?

Unsere Hunde sind Raubtiere. Und erst wenn wir Menschen die Tatsache akzeptieren, dass diese Raubtiere ureigene Bedürfnisse, Triebe und Instinkte in sich vereinen, wird ein gefahrloses Auskommen möglich sein. Weil wir erst dann in der Lage sein werden, unsere Raubtiere verantwortungsbewusst zu halten und zu führen.

Wenn man den IGP Sport verbietet, müsste im gleichen Atemzug auch das private Zerrspiel, jegliche Spieltaue und Bälle sowie jegliches zum Zerrspiel geeignete Spielzeug verbieten. Denn ob Sie den IGP Hund in den Beißarm oder eine gelbe Stoffgiraffe beißen lassen, hat für den Hund selbst eine identische Wirkung. Wir Menschen müssen uns endlich darüber klar werden, dass wir uns mit dem Hund einen Beutegreifer ins Haus holen. Dass dieser Beutegreifer seine natürlichen Anlagen nicht an der Türschwelle ablegt, ganz egal ob es sich dabei um einen Chihuahua, einen Beagle oder einen Boxer handelt. Unsere Hunde sind Raubtiere. Und erst wenn wir Menschen die Tatsache akzeptieren, dass diese Raubtiere ureigene Bedürfnisse, Triebe und Instinkte in sich vereinen, wird ein gefahrloses Auskommen möglich sein. Weil wir erst dann in der Lage sein werden, unsere Raubtiere verantwortungsbewusst zu halten und zu führen. Und weil auch Nichthundehalter lernen müssen, dass es sich dabei um Raubtiere handelt denen man mit gebührendem Respekt zu begegnen hat.

Ein Hund – egal welcher Rasse angehörend – ist immer dann friedlich, wenn er die nötige Erziehung genießen durfte und das setzt Zeit, Willen und Engagement voraus.

Sofortmaßnahmen, die dem ÖKV selbst nützen

Der ÖKV hat – wie so oft – sehr schnell reagiert und vergangene Woche eine Presseaussendung mit Sofortmaßnahmen verschickt. Diese Sofortmaßnahmen entpuppen sich bei genauerer Betrachtung lediglich als kluges Modell zur „Kundenbindung“. Denn Hundesport soll nur noch auf ÖKV Plätzen erlaubt sein.

Tatsache ist, dass im Wesen und Verhalten auffällige Hunde gerade im IGP Sport sofort erkannt werden!

Die Aggression gehört zum Hund wie sein Gebiss. Ohne Aggression würden weder Hunde noch Menschen überleben können, daher ist die Formulierung in der Aussendung des ÖKV „Gebrauchshundetrainer und -helfer müssen sich zertifizieren lassen und erhalten klare Vorgaben zur Hundearbeit. Bei Verstößen – darunter sind etwa aggressionsfördernde Übungen zu verstehen – wird ihnen die Lizenz entzogen.“ vollkommen unbrauchbar und realitätsfremd. Denn selbst mein Chihuahua entwickelt täglich mehrmals Aggressionen. Aggressionen bei der Fütterung, um sicherzustellen, dass der Dackel ihm nicht seinen Napf streitig macht. Aggressionen wenn sich ein anderer Artgenosse seinem Revier nähert. Aggression im gemeinsamen Zerrspiel mit mir. All das sind natürliche Aggressionen, die jedoch durch eine entsprechende Erziehung alltagstauglich adäquat und unproblematisch gelebt werden. Problematisch dagegen sind unkontrollierbare Aggressionen und ein Hund der solche zeigt, wird sowohl vom Hundesport, als auch von der Zucht ausgeschlossen, da beides mit einem unkontrollierbar aggressiven Hund gar nicht möglich ist.

Dies belegt auch die Tatsache, dass jener Rottweiler, der ebenfalls eine Spaziergängerin vergangenen Sommer mit nun eingetretener Todesfolge biss, vom Training im Militärhundezentrum Kaisersteinbruch ausgeschlossen und abgegeben wurde. Laut Aussagen des Militärhundezentrums war der Hund mangels Beißvermögen nicht für die Ausbildung geeignet. Tatsache ist, dass im Wesen und Verhalten auffällige Hunde gerade im IGP Sport sofort erkannt werden!

„Unwissende werfen Fragen auf, welche von Wissenden vor tausend Jahren schon beantwortet sind.“
Johann Wolfgang von Goethe

Bettina Bodner
Herausgeberin Your Dog Hundemagazin

Die Fotos unterliegen dem Copyright, jede widerrechtliche Verwendung in Medien wird ausnahmslos zur Anzeige gebracht.