Forschung

Komplexe Gefühle – können Hunde Wut, Scham oder Eifersucht empfinden?

Es ist noch gar nicht lange her, da war selbst die Wissenschaft davon überzeugt, dass komplexe Gefühle wie Wut, Trauer, Eifersucht oder Freude einzig dem Menschen vorbehalten wären und Tiere diese zu empfinden nicht in der Lage wären. Glücklicherweise hat sich inzwischen einiges verändert und so kann auch die Wissenschaft immer häufiger belegen, was wir Hundehalter längst wissen – unsere Vierbeiner stehen uns in Sachen Gefühlsleben in nichts nach.

Sie kennen es bestimmt – zwei Hunde, ein Keks – ein beleidigter Vierbeiner ist vorprogrammiert. Jetzt könnte man dieses Empfinden auf banale Ressourcenbeanspruchung herunterbrechen und dem Hund bloß einen gewissen Selbsterhaltungstrieb unterstellen. Wäre da nicht dieser spezielle Blick in den Augen des „Verlierers“. Wer zwei oder mehr Hunde hält, weiß bestimmt wovon ich spreche.

Es ist – je nach Hundepersönlichkeit – entweder Entsetzen, Wut, Unverständnis, Enttäuschung, blanker Schmerz oder verächtliche Empörung über die Dreistigkeit des Hundehalters, den Keks dem anderen Hund zuzusprechen. Also ich weiß nicht wie es Ihnen geht, in mir löst das dann sehr schnell ein schlechtes Gewissen aus, wenn mich aus den proportional etwas zu großen Augen meiner Chihuahua-Rudelchefin die pure Enttäuschung anblickt. Selbstverständlich stehe ich dann umgehend auf, um einen zweiten Keks für sie zu holen und die Stimmung im Rudel zu glätten. Anders verhält es sich bei meiner Dobermannhündin, die zwar auch ein ausgeprägtes Gefühlsleben hat, jedoch bei ihr, vor allem die soziale Interaktion, bei weitem nicht so stark ausgeprägt ist, wie beispielsweise beim Chihuahua. Sie würde es einfach hinnehmen, dass es für sie nichts gibt.

Kann man Tieren Gefühle zusprechen?

Der preisgekrönte Wissenschaftler und Autor Marc Bekoff, stellt in seinem Buch „Feldstudien auf der Hundewiese“ die Frage, ob wir Tiere vermenschlichen, wenn wir ihnen Emotionen zugestehen. Gleich im ersten Absatz beantwortet er diese Frage sehr treffend: „Kritiker, die behaupten, wir dürften Tiere nie vermenschlichen, haben unrecht.“ Dem kann ich mich nur anschließen. Aus meiner Sicht ist es schon sehr befremdlich, wenn so mancher Wissenschaftler komplexe Gefühle einzig dem Mensch zuschreibt. Eine solche Denkweise Tieren gegenüber zeugt für mich von wenig Offenheit, was aber doch eine der wichtigsten Eigenschaften eines Forschers sein sollte.

Wir Menschen sind nicht die Krone der Schöpfung!

Wir Menschen sollten nicht den Fehler machen, uns als die Krone der Schöpfung zu sehen. Vielmehr ist es doch so, dass sich viele von uns gar nicht vorstellen können, dass Tiere auf andere Arten untereinander ebenso intensiv kommunizieren oder ebenso tiefe Gefühle empfinden, wie wir es tun. Und nur weil etwas unsere menschliche Vorstellungskraft übersteigt, bedeutet es nicht, dass es nicht existiert.

Oder wie Patricia McConnell in ihrem Buch „Liebst du mich auch? Die Gefühlswelt bei Hund und Mensch“ so treffend formuliert: „Wir müssen aufhören, uns ständig für unsere Meinung zu entschuldigen, dass Tiere wie unsere Hunde Gefühle haben. Es ist an der Zeit. Selbstverständlich können unsere Hunde Gefühle wie Angst, Zorn, Glück und Eifersucht ausdrücken. Und ja, nach allem, was wir sagen können, erleben sie diese Gefühle auch ganz ähnlich wie wir. Jemand, der anderes behauptet, könnte genauso gut sagen, die Erde sei eine Scheibe.“

Die Fähigkeit, psychische Erkrankungen zu entwickeln, zeugt von hoher sozialer Intelligenz

Leider steckt die Forschung rund um das Gefühlsleben unserer Hunde noch in den Kinderschuhen und so lässt sich bisher wenig wissenschaftlich belegen. Doch immer wieder kommen verschiedene Studien zum Ergebnis, dass Hunde nicht nur eine extrem enge Bindung zu Menschen eingehen, sondern ein sehr hohes Maß an sozialer Intelligenz besitzen. Und allein schon die Tatsache, dass Hunde auch eine Vielzahl psychischer Erkrankungen entwickeln können, zeugt doch von der enormen Ausprägung ihres Gefühlslebens. Selbst in der Humanmedizin ist das Gebiet der Neuroplastizität noch wenig erforscht, es ist aber bekannt, dass sich Hirnstrukturen nicht starr darstellen, sondern im Laufe des Lebens ständig anpassen und verändern. Warum sollte dies also nicht auch für Hunde gelten? Wir wissen doch, wie anpassungsfähig selbst schwerst traumatisierte Hunde aus dem Auslandstierschutz sind und erleben immer wieder, wie schnell sie sich an ihre neue Umgebung anpassen und, trotz traumatischer Erfahrungen in der Vergangenheit, in der Lage sind, ein glückliches erfülltes Hundeleben zu leben.

Ob Hunde tatsächlich die gesamte Bandbreiter komplexer Emotionen empfinden, ist noch nicht gesichert. Sehr wahrscheinlich ist aber, dass sie nur Teile davon fühlen.
Eine plausible Erklärung könnte meiner Meinung nach dafür sein, dass Empfindungen wie Scham oder Peinlichkeit in engem Zusammenhang mit gesellschaftlichen Strukturen stehen und selbst Kleinkinder erst im Laufe der ersten Lebensjahre lernen, gewisse Situationen oder Verhaltensweisen als peinlich zu empfinden. Während Kleinkinder mit etwa einem Jahr noch wie selbstverständlich im Beisein der Familie ihr großes Geschäft verrichten, lernen sie im Laufe der nächsten Jahre, das es dafür einen bestimmten Ort fernab der Gesellschaft gibt.

Für Hunde gelten andere Maßstäbe

Solche menschlichen Maßstäbe gelten für Hunde nicht. Um dies wirklich verstehen zu können, sollten wir es mit der Wahrnehmung unserer Hunde beurteilen. Es mag in Hundekreisen vielleicht nicht peinlich sein, nebeneinander sein Geschäfts zu verrichten (wie könnte es auch, wenn Urinmarken beispielsweise Reviergrenzen markieren),  doch vielleicht empfinden Hunde Scham, wenn sie frisch gebadet und ihrer natürlichen Duftmarken beraubt wurden.

Den ganzen Artikel findest du in Ausgabe 05/2020 .