Im Herbst 2004 kam Barico von der Wolfsdelle genannt „Rico“ zu uns. Er wurde meinem Mann als Diensthund zugewiesen, denn aussuchen konnte man sich damals seine Diensthunde noch nicht selbst. Rico war ein knapp 2-jähriger Rüde. Bei der Übergabe wurde einfach nur lapidar mitgeteilt: „Pass mit anderen Tieren auf. Der hat schon drei andere Hunde kaputt gemacht. Aber er beißt wie das Gewitter.“ Mein Mann dachte sich damals nur: „Na toll.“
Das Einzige was er damals wirklich gut konnte war Schutzdienst – hier aber auch nur den Bereich des Beißens. Sobald er auch nur auf Entfernung einen Hetzarm oder jemanden in Schutzkleidung sah hat er die Augen auf „weiß“ gedreht und er war nicht mehr ansprechbar. Dies sollte sich im Laufe der Zeit unter konsequenter Ausbildung deutlich verbessern. Bis dahin war es aber ein weiter Weg.
Das Projekt „Rudel“
Rico sollte aufgrund seiner Aggressivität gegenüber anderen Tieren eigentlich im Zwinger wohnen. Wie er Kindern oder anderen Menschen gegenüber reagieren würde konnte keiner so genau sagen, denn so wirklich viel wussten wir über ihn nicht. Die ersten Tage und Wochen der Eingewöhnung waren wirklich spannend. Zum damaligen Zeitpunkt hatten wir privat noch einen Rüden. Das erste Zusammentreffen fand auf neutralem Boden mit Beißkorb und Leine statt. Rico ist beim Anblick unseres Rüden komplett ausgerastet, so aggressiv war er. Unser damaliger Rüde stand dem in nichts nach, so dass wir mit Mühe einen direkten Kampf verhindern konnten. Das Projekt „Rudel“ schien zunächst erst einmal gescheitert.
Mit viel Liebe und noch mehr Konsequenz konnten die Beiden aber so langsam aneinander gewöhnt werden, so dass sich die Beiden zumindest geduldet haben. Nach etwa 3 Wochen haben wir die Beißkörbe dann das erste Mal beim Spazieren gehen weggelassen. Nach ca. 6 Wochen konnten sie sich ohne Beißkorb und Leine, jedoch immer noch unter Aufsicht in einem Raum aufhalten ohne dass es zu nennenswerten Schwierigkeiten kam. Das Projekt „Rudel“ ging also seinen Weg und die dauerhafte „Getrennthaltung“ schien ein Ende zu haben. So war zumindest eins von vielen Problemen gelöst.
Rico war eine echte Herausforderung
Zwischenzeitlich hatten wir herausgefunden, dass auch der Umgang mit Menschen nicht ganz unproblematisch war. Rico hatte einen sehr hohen Beschützerdrang. Er hatte meinen Mann als seinen Führer akzeptiert und ist seit dieser Zeit sein „Schatten“. Egal wo mein Mann hingeht, Rico steht auf und geht mit. Jegliche Aggression gegen meinen Mann quittierte Rico seinerseits mit Aggression gegen den vermeintlichen Angreifer. Er musste nun also lernen, dass es auch Situationen gab in denen er nicht „helfend“ eingreifen muss. Dieses „Schutzverhalten“ konnte er nie wirklich komplett ablegen. Er schränkte es aber zumindest so weit ein, dass ich meinen Mann gefahrlos anfassen und mit ihm umgehen konnte.
Von Tag zu Tag steigerte sich seine Akzeptanz gegenüber Albert, unserem anderen Rüden. Albert war jedoch der einzige Hund den er akzeptierte. Alle anderen hatte er nach wie vor „zum Fressen gerne“, was an dieser Stelle absolut wortwörtlich genommen werden kann. Er zeigte bei anderen Hunden immer noch den deutlichen Willen, dass er bereit ist zu töten. Auch dies kann an dieser Stelle absolut wortwörtlich genommen werden.
Zwinger oder Schlafzimmer? Schlafzimmer!
Unseren Kindern gegenüber verhielt sich Rico immer neutral. Sobald die Kinder jedoch anfingen zu toben, war aufpassen angesagt. Schnell lernten wir Rico zu lesen und so ist bis heute noch nie etwas mit den Kindern passiert. Rico hat entgegen seinem bisher gezeigten Verhalten eine absolute Liebe zu Stofftieren. Stofftiere trägt er tagelang mit sich herum. Er schläft mit ihnen im Maul und legt sie nur zum Fressen kurzfristig ab, bis er sie dann aus welchen Gründen auch immer in ca. 1 Million Einzelteile zerlegt.
Rico wurde lediglich zum Schlafen in den Zwinger im Garten gesperrt. Als es dann dauerhaft hohe Minusgrade hatte bemerkten wir, dass Rico jeden Morgen in den Knochen richtig steif war. So haben wir uns dazu entschlossen, das Rico nicht im Zwinger wohnen muss, und er ist vom Zwinger in die Wohnung umgezogen. Er bekam einen Platz vor dem Bett meines Mannes und er genoss diesen „Luxus“ sichtlich. Seit dieser Zeit ist er nun Tag und Nacht bei uns im Haus. Wir haben es bis heute zu keinem Zeitpunkt bereut.
Schritt für Schritt die Karriereleiter hoch …
Vom ersten Tag an ging Rico auch schon mit Thomas zum Dienst nach Frankfurt an den Hauptbahnhof. Sie fuhren immer mit dem Zug dort hin. Man merkte sehr schnell welche großen Fortschritte Rico machte und so konnte Thomas mit ihm Anfang 2005 auch schon zum Grundlehrgang , den Rico und Thomas dann auch zusammen nach 2 x 5 Wochen erfolgreich bestanden haben. Doch damit nicht genug, noch im gleichen Jahr wurde Rico weiter zum Sprengstoffspürhund ausgebildet was er ebenfalls nach 2 x 7 Wochen mit einer erfolgreichen Prüfung beendete.
Somit war Rico nun ein Sprengstoffspürhund im Großraum Frankfurt. Auch wenn man Rico deutlich ansah, das der Dienst anstrengend war, so hat es ihm doch immer viel Freude bereitet mit Thomas zum Dienst zu fahren. Im Dienst konnte er sich voll und ganz ausleben. Thomas musste sich nie Sorgen machen, dass er unbemerkt angegriffen wurde, denn durch die duale Ausbildung wurde er nicht nur als Sprengstoffspürhund sondern je nach Lage vor Ort auch als Schutzhund eingesetzt. Räum- und Absperreinsätze meistere er mit Bravour. Rico konnte im Falle eines Falles aber innerhalb von Sekunden komplett umschalten und konzentrierte sich dann 100% auf die Suche nach Sprengstoff. Im Bereich der Sprengstoffsuche arbeitete Rico größtenteils alleine und in Freisuche. Er war dazu ausgebildet alle derzeit bekannten militärischen und gewerblichen Sprengstoffe sowie die überwiegende Mehrzahl von Selbstlaboraten anzuzeigen. Da es in seinem „Arbeitsbereich“ reichlich „Verrückte“ gibt, hat er immer viel zu tun gehabt. Seine Arbeit wurde durch verschiedene Erfolge gekrönt, so dass sich Rico ein dauerhaftes Bleiberecht erarbeitet hat.
Rico sucht sich seinen Welpen aus!
Zwischenzeitlich war ich von der Rasse Malinois so infiziert, dass ich einen eigenen Mali haben wollte. Im gleichen Jahr (2005) durfte Rico sich dann einen Welpen aussuchen. Ja richtig… Rico hat ihn sich ausgesucht. Grundvoraussetzung war nämlich, dass der Welpe von Rico akzeptiert wurde, denn nach wie vor begegnete Rico anderen Hunden mit absoluter Tötungsabsicht. Viel Hoffnung hatte ich ja nicht aber … man soll es nicht glauben … Rico hatte von der ersten Sekunde an richtige „Vatergefühle“ und so zog noch ein kleines Malinois-Mädchen bei uns ein, nämlich Fly.
Für Fly machte sich Rico regelmäßig zum Trottel. Sie durfte alles bei ihm und er hat ihr viel beigebracht und sie gut erzogen. Auch heute noch liebt er Fly über alles und spielt regelmäßig mit ihr. Es gab nun also zwei Hunde in seinem Leben, die er nicht fressen wollte. Sein Spielraum hat sich also um 100% erhöht.
Zu Hause war Rico wie ausgewechselt und eigentlich ein echter Schmusehund. Er genoss es zu Hause auf dem Sofa zu liegen und mit den anderen Hunden aus unserem Rudel zu spielen. Er duldet jedoch nach wie vor keine anderen Hunde in seiner Nähe.
Rico versah seinen Dienst vorzüglich, und wurde auch bei vielen Vorführungen und Veranstaltungen eingesetzt. Durch seine Fähigkeit 90% der Sprengstofflagen in Freisuche abzuarbeiten, konnte er auch an schwierigen Orten eingesetzt werden und das Risiko der Verletzung durch eine unbeabsichtigte Sprengstoffumsetzung (Explosion) bei der Suche minimierte sich für Thomas .
Auch ein Haudegen wird älter
Mit den Jahren merkten wir alle mehr und mehr, dass es Rico immer schwerer fiel seinen Dienst zu versehen. Er lahmte zeitweise auf allen Pfoten und begann sich die Pfoten aufzulecken. Man merkte dass ihm einfach die Knochen schmerzten. Beim Schutzdienst brachen ihm immer öfter auch Zähne ab, so dass das auch langsam zum Problem wurde. Natürlich wurde Rico tierärztlich behandelt. Er bekam aber zum Ende seiner aktiven Dienstzeit eine dreifache Überdosierung von Schmerzmitteln, nur um ihm das Leben erträglich zu machen. Aus dem Grund wurde er im Dienst von Thomas nur noch sehr selektiv eingesetzt, um keine unnötigen Schmerzen zu provozieren.
Irgendwann zeigte Rico trotz Schmerzmitteln so starke Lahmheit, dass er von Thomas direkt in eine spezialisierte Tierklinik gebracht wurde. Dort wurde mittels CT und MRT eine verheerende Diagnose gestellt. Die Ergebnisse waren grauenhaft. Rico hatte an der Hüfte auf beiden Seiten, an den Ellenbogen und an den Knien deutliche Arthrosen und zusätzlich im Bereich der Brustwirbelsäule eine beginnende Spondylose. Die Zähne mussten teilweise operativ entfernt werden, da sie absolut ungünstig abgebrochen waren.
Also beschlossen wir uns Ende 2009 dafür einzusetzen, das Rico in Ruhestand gehen darf. Thomas nahm Rico als Sofortmaßnahme nicht mehr mit in den Dienst, da dies aus tierschutzrechtlichen Gründen nicht mehr zu verantworten war. Nach mehreren Gutachten konnte Rico dann Anfang 2010 mit nur 8 Jahren in den verdienten Ruhestand gehen. Aufgrund seiner vorherigen guten Leistungen hatte er sich einen dauerhaften Platz im Rudel erarbeitet und Thomas übernahm die Pflege von Rico.
Ein Workaholic im wohlverdienten Ruhestand
Anfangs war es für ihn sehr schwer zu Hause zu bleiben, denn er vermisste Thomas ganz fürchterlich wenn dieser zum Dienst ging. Doch er fing sich mit der Zeit gut und begann immer mehr das Leben zu Hause zu genießen. Mittlerweile freut er sich auf jedes Gassigehen und auf jede Schmuseeinheit. Natürlich hat er auch akzeptiert das nun ich das sagen habe, wenn Thomas nicht zu Hause ist, aber auch das ging ohne weiteres.
Rico hat sich zu Hause noch einmal gut erholt. Aber … so langsam merkt man ihm an, dass er alt wird. Sein Bart und ein Großteil seines Gesichts ist nicht mehr schwarz, sondern übersäht mit grauen Haaren. Seine Bewegungen werden deutlich langsamer und er ist viel ruhiger geworden. Er hat teilweise deutliche Probleme auf die Couch zu kommen und bleibt deswegen immer öfter am Boden liegen. Auch spielt er mittlerweile wieder weniger und schaut den anderen Hunden aus unserem Rudel zu und greift nur noch selten in das Spiel ein. Leider bemerken wir auch seit einiger Zeit, dass er immer weniger sieht und dass die Linsen auf beiden Augen immer trüber werden, was natürlich das Gassigehen draußen enorm erschwert. Er genießt dafür umso mehr Mittlerweile hat er 3 Mädels (zwei deutsche Schäferhündinnen und eine Malinoishündin) um sich herum die ihn jung halten.
Ja ja der böse Diensthund
Ich bin fest der Meinung, dass die Hunde sehr gut zwischen Dienst und zu Hause unterscheiden können, und kein Diensthund der Welt hat es verdient sein Leben alleine im Zwinger zu verbringen. Für die Leistungen, die er im Dienst gebracht hat gebührt dem Hund ein würdiger Lebensabend. Rico wohnt immer noch bei uns im Haus, genau wie die anderen Hunde. Er hat sich im Haus gegenüber uns bzw. den Kindern NIE aggressiv gezeigt. Auch Besucher lässt er mittlerweile ohne Probleme ins Haus und lässt sich streicheln. Auch kleine Besuchskinder werden von ihm vorsichtig und herzlich begrüßt. Das Einzige auf das man bei Rico achten muss ist seine Flinke Zunge, denn er gibt sehr gerne mal Küsschen. Auch ist nach wie vor Vorsicht bei Stofftieren gegeben. Er liebt sie und sabbert sie erst voll, bevor er sich nach nicht bestimmbarer Zeit entscheidet das Stofftier zu atomisieren.
Im November 2012 wird Rico 10 Jahre alt. Auch wenn wir alle merken das unser Opa immer wackeliger und immer älter wird, so hoffen wir doch das er noch den ein oder anderen warmen Sonnenstrahl bei uns genießen kann.
Und wenn dann der Tag gekommen ist, dann werden wir ihn gehen lassen…. aber auch erst dann, denn Rico war nicht nur ein langer und treuer Diensthund meines Mannes, sondern er ist auch ein toller und treuer Familienhund geworden. Bis dahin bleibt er unser Couch-Hund der sich überall seine Streicheleinheiten abholt.
Text: Tanja Kriegelstein