Biologische Funktionen der Kommunikation
Sowohl Mensch als auch Hund sind beide sozial lebende Säugetiere. Bei beiden Spezies spielt im Sozialgefüge die Kommunikation eine außerordentlich große Rolle. Der biologische Vorteil von Kommunikation ist bei beiden identisch.
Kommunikation vergrößert – biologisch gesehen – die Überlebenschancen, denn Kommunikation spielt eine wichtige Rolle in den Funktionsbereichen des Nahrungserwerbs, der Verteidigung des eigenen Territoriums, im sexualpartnerschaftlichen Bereich sowie bei der Erziehung des Nachwuchses. Kommunikation befriedigt soziale Bedürfnisse. Sie gibt dem Individuum eine Identität und verstärkt somit das Sicherheitsgefühl. Alleinsein ist biologisch gesehen sehr risikobehaftet. Kommunikation beschleunigt Lernprozesse, denn sie führt zu der natürlichsten Lernform, dem sozialen Lernen. In einer Zweckgemeinschaft gibt es – auch wenn die Mitglieder nicht blutsverwandt sind – andere Verwandte, nämlich Geistesverwandte. Wenn die Mitglieder gleiche Zielsetzungen im Leben haben, werden lebenspraktische Fertigkeiten, also die benötigten Fertigkeiten zur Erreichung wichtiger Lebensziele, relativ mühelos von den älteren erfahreneren Individuen auf die jüngeren Unerfahrenen übertragen. Denn wenn der zu Erziehende lebenspraktische Fertigkeiten erlernt, bringt ihn dieses Wissen im Leben weiter. Er lernt zu seinem eigenen Vorteil.
Mit anderen Worten: er lernt, was er auch unbedingt lernen möchte. Dieses Lernen verstärkt die Motivation zur Kommunikation und vergrößert die Effektivität und die Geschwindigkeit des Lernens ungemein.
Formen der Kommunikation
Bei uns Menschen ist die akustische (verbale) Kommunikation die primäre und die Körpersprache (optische Kommunikation) die sekundäre Form des Ausdrucks. Bei Hunden verhält es sich genau umgekehrt. Zusätzlich ist die olfaktorische Kommunikation (Geruchsinn) für Hunde eine sehr bedeutende Möglichkeit, Informationen untereinander auszutauschen. Beim Menschen spielt sich die chemische Kommunikation hauptsächlich im Unterbewusstsein ab. Für beide Spezies ist aber die taktile Kommunikation in der sozialen Kommunikation gleich bedeutungsvoll.
Es wäre gut, in der Kommunikation von Mensch zu Hund die Körpersprache bewusst einzusetzen. Auch sollten wir bedenken, dass jede Körperberührung für Hunde eine kommunikative Aussage in sich trägt.
Kommunikationsanalyse
Das Ausdrucksverhalten des Hundes hat zum Ziel, beim Empfänger einen bestimmten Eindruck zu bewirken. Sein gesamtes Verhalten hat eine Bedeutung. Aus diesem Grund sollten wir seine Kommunikation durch Analyse versuchen zu verstehen. Das abgebildete Modell der Kommunikation kann hierzu ein Leitfaden sein. Es gibt Menschen mit der Überzeugung, der hündischen Kommunikation in der Mensch-Hund-Beziehung weniger Gewicht beizumessen. Das Argument dieser Überzeugung besteht darin, dass wir Menschen niemals wissen werden, was Hunde wirklich denken und somit Fehlinterpretationen nicht zu vermeiden sind. Aber wissen wir denn, was unsere Lebenspartner wirklich denken? Und hören wir deswegen auf zu versuchen, die Kommunikation mit dem Partner zu deuten? Hoffentlich nicht. Kommunikation ist somit kein hundertprozentiges Instrument, den anderen vollständig zu verstehen. Die wenigsten Menschen verstehen sich selbst hundertprozentig. Das Beobachten und Analysieren von Hunden, die miteinander aktiv sind, ist die beste Möglichkeit, mehr Gefühl für die Hundesprache zu entwickeln. So würden wir den Hund nicht einzeln und isoliert in seinem Verhalten beobachten, sondern immer den (sozialen) Kontext mit in Betracht ziehen. Die Kommunikationspsychologie verdient eine größere Bedeutung, denn sie kann durch die Kommunikationsanalyse das Zusammenleben zwischen Mensch und Hund qualitativ wesentlich verbessern.
Analogien oder Homologien?
Beim Vergleich der Körpersprache gibt es zahlreiche Parallelen zwischen Mensch und Hund. Die Körperhaltung beim Imponieren oder Bluffen, die sexuelle Darstellung, Unsicherheit oder Angst, Submission oder Dominanz sehen bei beiden Spezies im Prinzip ähnlich aus. Hunde wedeln mit der Rute, um ihren Duftstoff über die Pekaudaldrüse in Richtung der Kommunikationspartner zu verteilen. Als Kind habe ich mich immer gefragt, warum Frauen einen bestimmten Duftstoff auf ihr Handgelenk und „faustdick“ hinter ihre Ohren spritzen. Mittlerweile kenne ich den Grund: auch bei uns Menschen gibt es chemische Stoffe, die zu „Balzzwecken“ eingesetzt werden.
Auch im Dominanzverhalten gibt es Ähnlichkeiten. Beide, Mensch und Hund, zeigen hierbei mit dem Nasenrücken nach unten, und sie schauen folglich auf ihr Gegenüber herunter. Die Reaktion des Submissiveren folgt auch ähnlichen Prinzipien bei Mensch und Hund, nämlich sich klein zu machen und zum anderen hoch zu schauen. Soziale Dominanz hat ihren biologischen Ursprung in parentalem (elterlichem) Verhalten, Submissivität findet ihren Ursprung in infantilem (kindischem) Verhalten. Auch bei der Bewegungsrichtung von einem Individuum zum anderen gibt es Similaritäten. Homologe Kommunikationsprinzipien, wie z. B. das Vermeiden einer frontalen Begrüßung, sind bei den meisten sozial lebenden Säugetieren bekannt, denn eine andere Person frontal zu begrüßen käme einer Konfrontation gleich und könnte zu Konflikten führen. Sowohl Hund als auch Mensch machen zur Vorbeugung einen Bogen in ihrer Gehrichtung zum anderen Artgenossen.
Der Begriff „Beißhemmung“, ein von uns Menschen animalisierter Begriff, entspricht vielmehr der normalen Entwicklung von Empathie (Einfühlsamkeit), die wir Menschen auch kennen, die sich aber beim Hund schneller als bei uns Menschen entwickelt. Es ist typisch für uns Menschen, dass wir uns von anderen Tieren differenzieren wollen und daher gern andere Begriffe für das gleiche Verhalten verwenden. Das richtige Lachen beim Hund wird beispielsweise animalisiert als das Spielgesicht deklariert. Dabei hat es viel Ähnlichkeit mit dem menschlichen Lachen: die Maulwinkel sind nach hinten hoch gezogen, sodass in den meisten Fällen am Maulwinkelende Falten (bei uns Grübchen) entstehen. Gerade beim wirklichen Lachen sieht man anstelle der Frontzähne eher die seitlichen Zähne, gleichzeitig hängt die Zunge entspannt aus dem Maul, und es gibt eine erhöhte Atmungsfrequenz, vergleichbar mit dem menschlichen „Ha, Ha, Ha“. Das Lachen hört sich beim Hund eher wie eine Form des Hechelns an, ähnlich wie bei spielenden, sich kitzelnden Schimpansen.
Dieses Verhalten ist eine typische Form von Homologie zwischen Mensch, Hund und Schimpanse. Es hat also den gleichen genetischen Ursprung. Hunde markieren ihr Revier mit den körpereigenen Duftstoffen. Diese werden bewusst auf erhöhten Stellen hinterlassen, damit sie für andere gut wahrnehmbar sind. Wir Menschen dagegen bringen optische Signale an, um unser Revier zu markieren. So ist das Namensschild von „Familie Schmidt“ in der Regel auf Augenhöhe an der Haustür angebracht, damit es ins Auge fällt. Der Mensch sollte nicht selbstverständlich davon ausgehen, dass das hündische Verhalten eine Anpassung, also ein Analogie an unser menschliches Verhalten ist. Vielmehr ist es wichtig, die Ähnlichkeit im Verhalten, sprich die Homologie für eine adäquate Kommunikation mit dem Hund zu nutzen. Schon Darwin beschrieb die Ähnlichkeit der menschlichen und tierischen Kommunikation und Emotion. Wir Menschen sollten uns nicht von der Tierwelt getrennt betrachten, denn diese künstliche Trennung ist lediglich kulturbedingt, und sie führt oft zu Unrecht dem Tier gegenüber. Es ist vor allem Wissenschaftlern wie Prof. Dr. Frans de Waal (Ethologe und Professor für Psychologie) und Prof. Dr. Dr. Gerald Roth (Neurobiologe und Philosoph) zu verdanken, dass in unserer Sichtweise auf Tiere allmählich weniger menschliche Arroganz eine Rolle spielt. Es stellt sich mehr und mehr heraus, dass es prinzipiell zwischen dem Menschen und vielen anderen Arten von sozial lebenden Säugetieren keine wesentlichen Unterschiede gibt.
Den ganzen Artikel findest du in Ausgabe 04/2014 .
Autor: Jan Nijboer, Natural Dogmanship