Haltung

Wir lieben Hunde – solange sie sich nicht wie Hunde verhalten

Hunde begleiten uns Menschen seit mehreren Tausend Jahren. Der österreichische Wissenschaftler Kurt Kotrschal geht sogar so weit zu sagen, dass Menschen ohne andere „Tiere“ weder erklärbar noch lebensfähig seien. Und dennoch: der Mensch gibt sich selten mit dem vielfältigen Angebot der Natur zufrieden. Erst wenn er seinen ganz persönlichen Stempel aufdrücken kann und vielleicht ein Stück weit seine persönliche Handschrift erkennbar wird, ist er mit dem Geschaffenen zufrieden, um irgendwann zu erkennen, dass alles Veränderte in seiner Ursprünglichkeit doch am vollendetsten war. Dann heißt es wieder „Z‘ruck zum Ursprung“. Was das mit Hunden zu tun? Jede Menge.

Hunde waren ursprünglich Herdenschutzhunde, Wachhunde, Schutzhunde, Jagdhunde, Hütehunde. Von Menschenhand zur Verfeinerung und Verbesserung der Qualität ihrer jeweiligen Leistung selektiert und gezüchtet, um dem Menschen bei vielfältigsten Aufgaben zur Seite zu stehen. Der Abdecker und Steuereintreiber war auf den Schutz eines unbestechlichen, wehrhaften Hundes angewiesen. Jahrzehntelang wurden verschiedenste Rassen gekreuzt, um Mut, Härte und Entschlossenheit zu fördern. Als Dankeschön galten und gelten Wach- und Schutzhunde heutzutage als scharf und gefährlich und werden unter anderem mit angsteinflößenden Filmrollen als unberechenbare „Beißer“ belohnt und ihr Image bleibt negativ behaftet. Längst sind diese Rassen jedoch durch jahrzehntelange Zuchtbemühungen alltagstauglich und auch für Familien verlässlich geworden. Noch schlimmer ergeht es jenen Terrierrassen, die seinerzeit für den Menschen gegen Artgenossen kämpfen mussten. Über 100 Jahre ist dies her, doch müssen sie auch heute noch gegen gemeinste Vorurteile ankämpfen und landen aufgrund des enormen gesellschaftlichen Drucks häufig im Tierheim, wenn ihre Halter den unbegründeten Anfeindungen nicht weiter standhalten können.

(c) www.istockphoto.com/Freila

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Vom unentbehrlichen Helfer zum Problemfall

Ebenfalls unentbehrliche Helfer des Menschen sind die Herdenschutzhunde. Hunde von beeindruckender Größe und Kraft, um notfalls im direkten (jedoch sehr seltenen) Kampf gegen den Wolf bestehen zu können. Meist reicht jedoch schon die bloße Anwesenheit dieser imposanten Hunde an der Herde, um Wölfe abzuschrecken. Ganz anders verhält es sich mit dem Menschen. Hunde sind die besten Freunde des Menschen. Und deshalb darf man sie überall und jederzeit mit liebgemeinten Streicheleinheiten beglücken. Auch Herdenschutzhunde, die eigens zum SCHUTZ der Herde auf die idyllische Alm verfrachtet wurden, darf man angreifen. Allerdings muss die, in dieser traumhaften Umgebung von Glückshormonen regelrecht zugedröhnte Stadtfamilie feststellen, dass der Herdenschutzhund offensichtlich nicht auf ihren Besuch gewartet hat. Freundlich gemeinte Annährungsversuche werden mit donnerndem und in diese Urlaubsidylle so gar nicht passendem Gebell zurückgewiesen. Die Kinder der Familie erschrecken und weinen vor Angst. Geschockt über so viel unbegründete (immerhin kam man in freundlicher Absicht!) Aggression ergreift die Familie die Flucht vor dem pflichtbewussten HerdenS-C-H-U-T-Z-hund. Ein darauf folgender Artikel in der Lokalpresse löst eine erneute Diskussion über die Sinnhaftigkeit von Herdenschutzhunden zum Schutz der Herden auf abgelegenen Almen aus. Dass diese Urlauberfamilie die Gesetze der Natur bzw. das Pflichtbewusstsein des Herdenschutzhundes nicht respektieren konnte, interessiert keinen.

(c) www.istockphoto.com/KateLeigh

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Dann gibt es die Hütehunde. Ansehnliche Hunde in buntem Fell und praktischer Größe, somit auch für die Stadtwohnung „optimal“ geeignet. Der pubertierende Familien-Teenie durchläuft ohnehin eine schwierige Phase, da kann es nicht schaden, wenn er lernt Verantwortung zu übernehmen. Hat bei dem Jungen, der mit seinem Border Collie „Das Supertalent“ gewonnen hat schließlich auch funktioniert. Nach einem Jahr voller Beschäftigung (man weiß, dass der Border Collie viel Beschäftigung braucht, weshalb der Vater – der Teenie hatte bald das Interesse am Hund verloren – von Beginn an keinen Kurs in der Hundeschule ausgelassen hat) steckt der Familien-Teenie immer noch in der Pubertät und der Hund, der nicht nur ein Mal geschnappt und der Nichte beim Spaziergang in den Po gezwickt hat, im örtlichen Tierheim. Border Collies sind doch für ihre hohe Intelligenz und Affinität für Tricks aber weniger dafür, dass sie beim Spaziergang ständig ihre Familie umkreisen oder die kleine Nichte, die etwas zurückbleibt, gar in den Po zwicken, bekannt. Ein klarer Fall also: dieser Hund ist verhaltensgestört, ein Problemhund sozusagen. Nachdem weder die Beruhigungstropfen der Homöopathin noch die zu Rate gezogene Hundeflüsterin eine rasche Verhaltensbesserung erwirken konnten, bleibt nur der Weg ins Tierheim.

(c) www.bettinabodner.at

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Das wirklich traurige an diesen überspitzten Beispielen ist die Tatsache, dass sie genau so täglich passieren. Wir Menschen haben vollkommen verlernt, der Natur mit gebührendem Respekt zu begegnen und unser eigenes Handeln kritisch zu hinterfragen. Leider ist der Egoismus des Menschen häufig größer als die Vernunft und „haben wollen“ wiegt oft schwerer als „haben können“. Und Aggression hat in unserer zivilisierten Gesellschaft sowieso nichts verloren.

Kürzlich konnte ich im Zuge einer Hundebegegnung beobachten, wie eine fremde Person, die lediglich als Begleitperson der Halterin eines der Hunde dabei war, in völlig unverhältnismäßiger Weise auf artspezifische Kommunikation reagierte. Die beiden Hunde steckten kurz nach dem ersten Kennenlernen Grenzen und vermittelten einander, wo die jeweilige Individualdistanz unterschritten wurde. In keinster Weise aber war ernsthafte Beschädigungsabsicht zu erkennen. Dennoch erschrak der Begleiter offenbar so sehr, dass er der Hundehalterin die Leine entriss, sie zusammenknüllte und ziellos auf die beiden Hunde feuerte. Mit dem Ergebnis, dass die Hunde erschrocken zurückweichten und die Hündin die Leine so sehr mied, dass die Halterin große Mühe hatte, sie wieder anzuleinen. Verständlich, immerhin wurde die Leine gerade noch als (traumatisierendes) „Abbruchinstrument“ missbraucht. Solche Reaktionen können aus unauffälligen Hunden tatsächlich Problemhunde werden lassen, doch schien sich der „Hundeexperte“ der Konsequenzen seines Handelns überhaupt nicht bewusst. Im Gegenteil, er forderte Anerkennung für sein schnelles Einschreiten und „deeskalieren“ der Situation.

Lasst die Hunde Hunde sein

Wie die renommierte Verhaltensforscherin Dr. Dorit Feddersen-Petersen in ihrem Buch „Hundepsychologie“ schreibt: „Das Aggressionsverhalten gehört zum Sozialverhalten, ist dessen unverzichtbarer Bestandteil. Hunde sind als hoch soziale Caniden auf die Austragung von Konflikten angewiesen. Eskaliert eine aggressive Interaktion zur Beißerei, so ist dieses à priori kein Grund, hysterisch und extrem zu reagieren.“ Und weiter „Es sei daran erinnert, dass eine Auseinandersetzung unter Hunden nicht als Indiz in der Kette von Beweisen einer stets lauernden Gefahr aufzubauschen ist. Wir entfernen uns zunehmend vom Zusammenleben mit Tieren, die doch zu unserem Menschsein und zu unserer sozialen Bildung, in unserer Verantwortungsethik eingebettet, gehören sollten.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.