Haltung

Leinenaggression

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Die Spaziergänge werden auf die Abendstunden verlegt, man erkennt den eigenen Hund nicht wieder und schämt sich ob seines Verhaltens beim Aufeinandertreffen mit Artgenossen. Ein Hund sieht Stress auf sich zukommen und begegnet der Konfliktsituation mit aggressivem Gebaren. Dabei zeigt sich die Intensität der Aggression in Abhängigkeit der sich ihm präsentierenden Konfliktsituation und der Erfahrungen, die das Tier in seinem bisherigen Leben in ähnlichen Situationen gemacht hat.

MANGELNDES VERTRAUEN

Aber warum zeigt sich der Hund mit der Zeit an der Leine in manchen Situationen überfordert und aggressiv? Meist hängt es mit der Führungslosigkeit zusammen, die diese Hunde erfahren. Das mangelnde Vertrauen in die Fähigkeiten des Hundebesitzers, Konfliktsituationen zu Gunsten des Mensch-Hund-Teams zu lösen, führt dazu, dass die Hunde eigene Strategien entwickeln (müssen), um mit dem von ihnen empfundenen Stress umzugehen. Dabei verhindert die Leine oft eine für das Individuum angemessene Reaktion  ̶ gepaart mit dem sich nähernden Stressauslöser hat der führungslose Hund dann fast keine andere Wahl als sich aggressiv zu verhalten, um dem Stress zu entgehen. Nur allzu oft haben die Hunde dann Erfolg mit ihrer Strategie  ̶ denn der Stressauslöser entfernt sich ja in der Regel wieder  ̶ und aus Hundesicht stellt sich die Situation dann so dar, dass der „Feind“ erfolgreich vertrieben wurde.

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DIE EIGENE REAKTION BEOBACHTEN

Nur logisch, dass man in Zukunft in ähnlichen Konfliktsituationen sein Glück mit derselben Strategie versucht. Für den Hundehalter kommt in der Regel die Stimmungsübertragung erschwerend hinzu. Wer will schon, dass der eigene Hund sich aggressiv durchsetzt? In Erwartung dessen, was beim Anblick eines anderen Hundes passieren wird, wird automatisch eine andere Haltung angenommen  ̶ ob man will oder nicht. Und Hunde haben leider sehr sensible Antennen für die Stimmungen ihrer Halter. Was kann der Hundeführer also tun? Gibt es einen Ausweg aus dieser scheinbaren Einbahnstraße? Inwieweit darf ich mich bei meinem Hund durchsetzen, um ihm klar zu machen, dass die Aggression an der Leine unerwünscht ist? Oft wird in solchen Situationen leider falsch gehandelt. Einige Besitzer flüchten, und zerren den Hund aus der Situation heraus. Andere versuchen, den Hund mit Hilfe von Leckerlis oder einem Spielzeug abzulenken oder den Hund dann zu bestätigen, wenn er endlich mal still ist und den Fokus auf seinen Besitzer richtet. Ein anderer oft zu beobachtender Weg ist es, den Hund mit physischer und psychischer Gewalt in die Unterordnung zu pressen. Aber alle aufgezählten Methoden führen dauerhaft zu keiner Lösung des Problems. Häufig hat man das Gefühl, dass es eher noch verstärkt wird. Der Haken an der „Strategie-Flucht“ ist, dass die Vermeidung von Situationen, die Stress bereiten, keine Lösung beinhaltet, denn aufgeschoben (meiden) ist nicht gleich aufgehoben. Ablenkung funktioniert nur solange, wie sich die Situation als nicht allzu bedrohlich für den Hund zeigt. Kommt man dann aber in eine Situation, in der sich der Hund massiv bedroht fühlt, hat der Hundebesitzer auch mit einem Superleckerli oder -spielzeug keine Chance, den eigenen Hund von der Situation abzulenken. Das Abwarten bis der Hund seinen Fokus umstellt begünstigt wiederum den Aufbau und die Verfestigung von Handlungsketten: ich bin aggressiv, schaue meinen Menschen an, kassiere mein Leckerli und mache dann so weiter wie zuvor … Das emotional negativ geprägte „in die Unterordnung pressen“ schürt meist die Angst vor dem eigenen Besitzer, und ehe man sich versieht, wird der Hund noch mehr zur Aggression angetrieben, denn irgendwo muss der nun zusätzlich entstandene Stress ja hin. Was also tun? Beleuchtet man die Hund-Halter-Gespanne genauer, so stellt man immer wieder fest, dass oft nicht nur an dem eigentlichen Problem der Leinenaggression gearbeitet werden muss, weil die zugrunde liegenden Probleme viel tiefer liegen. Sie müssen analysiert und entsprechend aufgearbeitet werden.

 

SPAZIERGANG = STRESS

Ein leinenaggressiver Hund macht seinem Halter das Leben schwer, meist liegt aber gerade in der Unsicherheit des Halters die eigentliche Ursache. Der Hund zeigt sich aus verschiedenen Gründen führungslos an der Leine. Oft scheitert es bereits an einer vernünftigen Leinenführigkeit. Dadurch hat der Hund von vornherein fast keine andere Wahl, als den Spaziergang an der Leine als stressig zu empfinden und in Folge dessen jeden weiteren Stressauslöser beinahe dankbar zu nutzen, um seiner Aggression freie Bahn zu lassen, um sich Luft zu verschaffen und Stress abzulassen.

Den gesamten Artikel findest du in Ausgabe 01/2012 .

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