Oder – warum manche Hunde für manche (Anti-Jagd-) Trainings nicht gemacht sind.
Sina ist meine schwarze Perle. Eine glänzende Perle mit ein paar Kratzern. Vielen Kratzern. Sehr vielen Kratzern. Sie stammt aus einer ungarischen Tötungsstation – würde man meinen, wenn man sie das erste Mal sieht. Doch Sina stammt aus einer offiziellen Zucht für Dobermänner mit besten Voraussetzungen für einen später souveränen Welpen.
Dies ist kein wissenschaftlicher Artikel, nur ein Auszug meines Lebens mit meiner schwarzen Perle. Mit meiner nicht souveränen und verhaltenskreativen Perle. Sina ist das komplette Gegenteil von einem gut erzogenen Hund. Also – nicht dass sie nicht erzogen wäre, es interessiert sie nur nicht. Jaja, an der Bindung und an meinem Wissen hapert es. Hätte ich für jedes Mal als mir jemand Tipps zu unserer Bindung und meinem Wissen gab nur einen Euro Cent bekommen, ich wäre längst stinkreich. So richtig helfen konnte mir dann aber doch noch keiner mit meiner angekratzten Perle.
„So kann das nicht weitergehen!“
Der tiefste Kratzer ist ihrem unkontrollierbaren Verlangen nach Hetzjagden gewidmet. Sina jagt für ihr Leben gerne. Ich sehe sie deshalb nicht als Dobermann, sondern eher als Greyhound im Dobermannkostüm. Hat sie erst ein jagdbares Objekt erspäht, ist jeglicher Versuch sie davon abzuhalten völlig unnötig weil sinnlos. „So kann das nicht weitergehen!“ mahnte mich eine liebe Freundin, während wir uns, wieder einmal am Waldesrand wartend auf Sina die Füße vertraten. Ihr gut gemeinter Vortrag beinhaltete auch den Hinweis auf moderne Anti-Jagd-Trainings und „… heutzutage kann man dagegen etwas tun.“ Sina kam völlig entkräftet von ihrem zwanzigminütigen Sprint zurück, ich leinte sie an und wir gingen zurück. Zurück zum Auto, aus dem sie dreiundzwanzig Minuten zuvor aus ihrer Box in die Freiheit hechtete, um auf direkter Spur hinter den zwei Rehen nachzusetzen. Nach drei Jahren mit Sina haben sich meine Augen auf die Funktionsweise eines Feldstechers eingestellt und scannen vorsorglich Freiflächen, Waldränder und andere für jegliches hetzbare Wild interessante Stellen ab.
Doch an Sinas Wildsensor reicht nichts heran. Noch in der Autobox hatte sie die beiden bestens getarnten Rehe ausgemacht und katapultierte mich mit ihrem mächtigen Satz weg von der Box. Warum sie ohne Aufforderung aus der Box springt? Weil sie es kann. Ob wir nie daran gearbeitet haben? Unzählige Male. Und sie kann es perfekt – wenn sie will. Tür öffnet sich – Sina sitzt ruhig wartend darin, bis sie das Freizeichen zum Heraushüpfen bekommt. Warum es trotzdem zu einem solchen Zwischenfall kommt? Weil Sina nur situationselastische Erziehung kennt. Heute so, morgen anders. Wie es die Situation bzw. ihr Gemüt verlangt.
DIE Spezialistin für Jagdhunde
„So kann es wirklich nicht weitergehen“ dachte auch ich mir und machte mich erneut auf die Suche nach einer Spezialistin für jagdliebende Hunde. Erneut? Ganz genau. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten wir schon einiges durch. Impulskontrolltraining mit der Reizangel, Mantrailing für die körperliche und geistige Auslastung, Tricktraining für die Bindung, Ruhephasen um die Perle nicht zu überlasten und regelmäßiges Rückruftraining beim Spaziergang mit der Schleppleine (natürlich am weich gepolsterten Geschirr angebracht) gehörte zum Alltag. Ich wollte schließlich ein vorbildlicher Hundehalter sein, da man mit einem Dobermann ganz schlechte Karten hatte. Nach etwas Recherche fand ich DIE Spezialistin für Jagdhunde. Gut, Sina war zwar kein „reiner“ Jagdhund, aber noch jagdlustiger konnte ein Hund gar nicht sein. Also meldete ich uns wiederum hochmotiviert und optimistisch für das Seminar an. Natürlich war ich bereits bestens ausgestattet mit Pfeife, Dummys, Spielis, Geschirr, Schleppleine und hochwertigen Leckerlis. Das gehörte sozusagen zu unserer Spaziergeh-Grundausstattung. Um für den Hund interessant zu bleiben. Oder werden. Eine andere Freundin, die Sina nur von ihrer besten Seite kannte, fragte mich verständnislos wozu ich mir mit diesem Traumhund solch einen Stress machte. Sie würde keinen besser erzogenen Hund kennen und könnte nicht verstehen, warum ich ihr nicht ab und an mal ihre Freiheiten ließ. Wie gesagt – sie hatte Sina noch nie im Hetzmodus erlebt.
Das Seminar klang alleine von der Beschreibung her sehr interessant. Wir würden unter vielen anderen Punkten alternative Belohnung aber auch alternatives Verhalten erlernen und generell einen Überblick erhalten, welche Prozesse sich im Hund abspielen während so einer selbstbelohnenden Hetzjagd.
Offene Münder und böse Blicke
Es war soweit. Wie so oft stellte Sina den einzigen Dobermann. Unsere Seminargruppe war geprägt von Aussies, Borders, Settern und einem Magyar Viszla. Eine gute Gesellschaft dachte ich beim Anblick der Setter und des Vischls. Sina erregte schon allein durch ihr schrecklich nervöses Wesen Aufsehen. Ein ruhiges Sitzen in der Gruppe vor dem Trainingsplatz, um der Trainerin kurz Aufmerksamkeit zu schenken verlangte ihr schon alles an Konzentration ab. Hunde waren ihr suspekt, sie mochte schlicht keine fremden Hunde. Das war ein weiterer Punkt, den vor allem andere Hundehalter begreifen und lernen mussten. Ja, es gab da tatsächlich diesen einen Hund der keine anderen mochte. Punkt. Nein, sie war deshalb nicht gestört, sondern konnte einfach – wie viele Menschen auch – auf andere Artgenossen verzichten. Es dauerte etwas, bis wir auch diese Seminargruppe davon überzeugen konnte, dass gut gemeintes Beschnuppern bei Sina auch vom merlefarbenen Aussie mit den andersfarbigen Augen keine Sympathiepunkte brachte. Nach einem beherzten Leinenruck, um Sina auf den Boden der Tatsachen zu holen und sie in ein Sitz zu bringen, das auch bei ihr von längerer Dauer war, erntete ich aus der Border-Aussie-Ecke die ersten offenen Münder und bösen Blicke. Aus Erfahrung wusste ich, dass entschuldigende Blicke meinerseits die Situation nicht entschärfen würden, weshalb ich ebenso böse zurückblickte. Ich wollte schließlich keine Freunde finden, sondern meiner verhaltenskreativen Perle das Jagen abgewöhnen. Wenn Assi, dann wenigstens beide.
Die Trainerin erkannte Sinas Unruhe und wollte mit uns beginnen. „In meinem Kurs wird nicht an der Leine geruckt. Das sind Methoden aus längst vergangenen Zeiten und außerdem ist es tierschutzrelevant“, blökte sie mir zu, als sie mir die Leine abnahm. Es begann mit Leckerli gen Boden werfen. Sie verteilte sechs Leckerchen am Feldweg und in der Böschung, die Sina nun suchen und fressen sollte. Dies wäre eine äußerst befriedigende, alternative Belohnung erklärte sie uns. Das widersprach etwas meinem Anti-Giftködertraining in dem ich Sina beibrachte, nichts vom Boden aufzunehmen. Ich bat um alternative Vorschläge und erhielt einen leicht gereizten Vortrag, dass Hunde das unterscheiden könnten. Ich blickte Sina an, sie blickte mich an als ob sie sagen wollte „Lasse reden“.
Totes Fleisch ist witzlos
Als nächstes ging es darum, den Hund aus einiger Entfernung abzurufen, während er durch ein mit Leckerchen besetztes Dreieck herankommen sollte. Abrufen unter Ablenkung sozusagen. Sina gehorchte vorbildlich und würdigte die Leckerchen keines Blickes. „Totes Fleisch macht für sie auch nicht den Reiz aus“ gab ich zu bedenken, als die Trainerin sie für ihren Gehorsam lobte. Ein weiteres Mal erntete ich angeekelte Blicke. Nach weiteren Übungen alternativer Belohnungen die laut Aussage der Trainerin wesentlich interessanter für den Hund wären als eine Hetzjagd, da in Kooperation mit dem Hundehalter, erspähte ich in einiger Entfernung ein Reh. Fair wie ich bin, machte ich die Trainerin darauf aufmerksam. „Eine hervorragende Übungsmöglichkeit“ kommentierte sie freudig, ehe sie ruckartig herumgewirbelt wurde und unter einem lauten Schrei die Schleppleine auf den Boden fallen ließ. Sina setzte zum Strecksprint an, während sich auf den Handflächen der Trainer üble Brandblasen abzeichneten.
Entsetzte Schreie entfuhren den Border-Aussie-Halterinnen, die so ein Schauspiel anscheinend zum ersten Mal miterleben durften. „Das ist der Moment, an dem ich bisher nicht weitergekommen bin“ brachte ich den Grund für meine Teilnahme am Seminar auf den Punkt. „Bei allem Verständnis, SO einen Hund hat man nicht von der Leine zu lassen! Diese Hündin stellt eine Gefahr für Wild dar“ schnaubte die Trainerin. Eine bahnbrechende Erkenntnis, wie ich feststellte.
Es endete wie es immer endete – ich blieb am Waldrand stehen und wartete. Auf Sina. Inzwischen hatte ich mich von der Seminargruppe entfernt. Ich war es leid sinnlose Diskussionen auszutragen. Diskussionen mit Hundehaltern, deren Hunde an lockerer Leine neben ihnen saßen und desinteressiert durch die Gegend starrten. Diskussionen mit Hundehaltern, deren Hunde an angespannter Leine da standen und das Treiben beobachteten aber dennoch keinen Versuch unternahmen, sich ebenso loszureißen wie Sina es tat. Ich war es leid mir von Hundemenschen sagen zu lassen, wie ich meinen Hund zu erziehen hatte, die selbst außer eines entsetzten Gesichtsausdrucks NICHTS verwertbares beizutragen hatten. Kräftezehrende Diskussionen mit Hundehaltern, die nur glaubten alles zu wissen. Leider gewinne ich den Eindruck, dass sich ausgerechnet diese mehr als entbehrliche Gruppe Hundehalter in den letzten Jahren kaninchenartig vermehrt.
Mehr Toleranz!
Für all meine Leidgenossen, für alle Halter ebenso verhaltenskreativer Hunde wie meine Sina einer ist, für alle jene wünsche ich mir mehr Toleranz ihnen gegenüber. Ich wünsche mir mehr Toleranz für unterschiedliche Ausbildungswege, da diese Hand in Hand mit mehr Toleranz für unterschiedliche Hundetypen geht. Nicht jeder Hund findet Leckerchensuche mit Fraule spannender als den Glückshormoncocktail, der sein Hirn im Laufe einer Hetzjagd flutet. Einen Leinenruck kann oftmals tierschutzrelevant sein. Ganz oft kann er aber auch dringend nötig sein, um das herausfordernde Wesen des jeweiligen Hund in geordnete Bahnen zu lenken. Ein Brustgeschirr ist nicht für jeden Hund ausnahmslos die beste Wahl. Eine Schleppleine eignet sich nicht ausnahmslos für jeden Hund, wie auch die hochgeschätzte Trainerin schmerzhaft lernen musste. 35 Kilogramm pure Muskelmasse in Kombination mit eisernem Willen lassen sich im Streckgalopp nicht von einer Schleppleine aufhalten.
Ich mache mir nichts mehr aus bösen Blicken. Ich habe gelernt Sina so zu lieben wie sie ist. Vielleicht mussten wir zueinanderfinden. Vielleicht sind wir füreinander bestimmt. Vielleicht ist es ihr Glück, dass ich die bösen Blicke aushalten kann und sie so akzeptiere wie sie ist.
Vielleicht denken Sie irgendwann im Laufe der unzähligen Begegnungen mit anderen Hundemenschen nochmal an meine Worte. Ich ärgere mich nicht mehr über fremde Menschen, solange mich mein Hund liebt.