Lässt sich die Frage, ob ein gehandicapter Hund in jedem Fall ein lebenswertes Leben haben kann, pauschal mit „Ja“ beantworten? Wer entscheidet, ab wann ein Leben nicht mehr lebenswert ist? Welche Faktoren spielen dabei eine Rolle? Kathi Hengl-Schmidl, Obfrau des Vereins „Behinderter Hund – na und?“ versucht in ihrem sehr berührenden Artikel Antworten auf diese kontroversen Fragen zu finden.
Mein Herz schlägt für behinderte Hunde. Ich lebe und arbeite mit ihnen, im Grunde dreht sich einfach alles um sie. Trotzdem würde ich die Frage „Haben behinderte Hunde ein lebenswertes Leben?“ nie pauschal mit Ja beantworten. Es spielen sehr viele Faktoren eine Rolle, ob ein behinderter Hunde ein artgerechtes Leben führen kann. Ich gehe hier speziell auf den gelähmten Hund ein, da man gerade diese tagtäglich auf Facebook und Co. sieht und dies eine der schwersten Behinderungen darstellt.
Beginnen wir einmal beim Hund selber: Nimmt dieser seine Behinderung an? Ja, Hunde leben im Hier und Jetzt. Trauern der Vergangenheit nicht nach und fiebern nicht in die Zukunft. Es gibt aber leider doch Hunde, die z.B. mit ihrer Lähmung nicht zurechtkommen. Sie werden regelrecht depressiv, apathisch – sie geben sich auf. Ein Hund benötigt Zeit um sich mit seiner neuen Situation zurechtzufinden. Schafft der Hund dies nicht (die Mithilfe seiner Besitzer vorausgesetzt), sollte man sich überlegen, ob dies wirklich ein lebenswertes, glückliches Leben ist?!
Erlauben die Lebensumstände ein glückliches Leben?
Ein großes Thema sind die Lebensumstände, denn hier gibt es viele Dinge zu berücksichtigen. Ich möchte hier 2 Beispiele nennen: In Rumänien sitzt ein großer Mischling, 3 Jahre alt, in einem großen Shelter. Der Hund wurde auf der Straße gefunden und ist gelähmt. Man vermutet, dass er wahrscheinlich von einem Auto angefahren wurde. Er wurde zwar notdürftig medizinisch versorgt, aber eine richtige Diagnose oder sogar Behandlung ist nicht möglich. Da er nicht zu den anderen vielen Hunden ins Gehege kann, muss er in einem kleinen Käfig leben. Durch die Inkontinenz liegt der Hund den ganzen Tag in seinem eigenen Kot und Urin. Die Vermittlungschance für so einen Hund ist gering und dies bedeutet lange Zeit das Leben so zu verbringen. Willi ist ein lustiger, quirliger Dackelrüde und lebt bei Familie Huber. Er erleidet einen Bandscheibenvorfall und bleibt trotz erfolgreicher OP und Physiotherapie gelähmt. Familie Huber lässt Willi einen Rolli anpassen und besucht weiterhin regelmäßig die Physiotherapie. Bei Familienausflügen darf er weiterhin dabei sein und im Haus wurden ein paar Dinge behindertengerecht umgestaltet. Familie Huber kann Willi den ganzen Tag betreuen und so ist gewährleistet, dass regelmäßig seine Windeln gewechselt werden. Ist hier das Leben von beiden behinderten Hunden lebenswert? Ist es artgerecht, glücklich und werden beide Hunde gut versorgt?
Gehandicapte Hunde als Spendenargument
Gerade mit behinderten Auslandshunden wird gerne auf die Spenden- und Tränendrüse gedrückt. Das Geld fließt, die Hunde werden mit extrem langen Geschichten geteilt, Inserate fleißig kommentiert und genauso schnell verschwinden diese in der Versenkung. Was die vielen Leser, Teiler und Spender aber vergessen: Diese Hunde leiden! Diese Hunde haben lange Zeit kein artgerechtes Leben! Diese Hunde bekommen zum Teil keine ausreichende medizinische Versorgung! Diese Hunde werden oft zu Wanderpokalen!
Mir liegen gelähmte Hunde sehr am Herzen und es steigen mir die Tränen in die Augen, wenn ich sehe, wie zum Teil mit ihnen umgegangen wird. Viel zu oft müssen diese Hunde vor sich hinvegetieren, nur weil sich Menschen einbilden diese unbedingt retten zu müssen. Die Zeit vergeht für diese Menschen schnell. Sie arbeiten, treffen Freunde, verbringen die Zeit mit ihrer Familie, gehen ihren Hobbys nach – diese Hunde liegen im Käfig und haben – NICHTS. Behinderte Hunde retten um jeden Preis? – Nein!! Man muss auch Grenzen setzen und zwar zugunsten des jeweiligen Hundes. Gerade als Tierschützer muss man sich eingestehen, dass man nicht jedes Tier retten kann.
Tierschutz – nicht um jeden Preis!
Wir möchten es alle gerne – aber es wird nicht funktionieren, denn wir können nicht einmal alle gesunden Hunde retten. Tierschutz bedeutet auch Entscheidungen zu treffen, die uns selber nicht so gut gefallen. Behinderte Hunde sollen keine Vermittlungsstatistik aufbessern und sie sollen schon gar nicht dazu benutzt werden um Spendenkassen zu füllen. Sehen Sie auf Facebook eines der vielen Inserate von gelähmten Hunden, die in Käfigen sitzen, deren Gesundheitszustand sehr schlecht ist, mit tränenreichen Geschichten: Hinterfragen Sie das! Fragen Sie direkt, wie lange der Hund schon so leben muss! Fragen Sie, welche medizinische Versorgung er erhalten hat und machen Sie sich dann Ihr eigenes Bild vom lebenswerten Leben der vielen behinderten Hunde.
Eine sehr liebe Freundin, Iris Hafele vom Tierschutz Sonne, möchte ich hier zu Wort kommen lassen. Tierschutz Sonne hat einige schwer behinderte Hunde in Serbien betreut. Wie kosten- und zeitintensiv das Ganze ist und wie man von sogenannten „Gutmenschen, die alles retten möchten“ im Stich gelassen wird, erzählt sie uns hier:
Als in Serbien arbeitender Verein sind wir häufig mit der traurigen Realität behinderter Hunde konfrontiert und müssen uns selbst rigide Grenzen setzen. Was auffällt, ist vor allem eines: Wird ein gelähmter oder anderweitig behinderter Hund in einem schlimmen Zustand und Umfeld gefunden und sein Bild findet wie so oft den Weg in das World Wide Web – dann sind sofort hunderte Menschen an der Tastatur und schreien förmlich danach, dass auch dieses Tier gerettet werden muss.
Virtuelle Druckwelle
Es entsteht so etwas wie eine virtuelle Druckwelle und – wir kennen dieses Gefühl aus eigener Erfahrung – es ist oft nicht leicht, dieser etwas entgegenzusetzen. Gleichzeitig entsteht aber auch Hoffnung! Wenn sich so viele Menschen für das Schicksal „unseres“ Notfalles interessieren und ihn gerettet sehen wollen, dann werden sie doch auch dabei helfen diese Geschichte zu einem Happy End zu bringen? Helfen die Kosten zu tragen, eine PS anbieten und vielleicht sogar ein liebevolles Zuhause für immer? Weit gefehlt! Ist das Tier erst einmal von der Straße geholt und vielleicht sogar im Ursprungsland auf einer bezahlten Pflegestelle untergebracht, dann ist es ja kein Notfall mehr. Und dann bleibt es letztendlich einfach das Problem des Vereines, sich weiter darum zu kümmern. Es ist immer wieder frustrierend erleben zu müssen, wie schnell das Interesse an der aktiven Hilfe für ein Tier verschwindet, obwohl es gleichzeitig auch nicht verwundert: Jeden Tag gibt es neue, traurige und erschütternde Fälle. Zurück bleiben einige wenige Menschen, die sich einem Tier verpflichtet haben und das Tier selbst und viele, viele ungelöste – oftmals vor allem finanzielle – Probleme.
Obwohl unser erster „selbst geretteter“ serbischer Hund ebenfalls ein kleiner Rolliflitzer ist, der uns vieles gelehrt und uns schon so oft zum Lachen gebracht hat – wir also die Chancen eines solchen Hundes absolut sehen und uns auch für noch mehr Tiere wünschen – müssen wir aktuell jeden weiteren Hilferuf für einen solchen Hund abweisen. Zu oft haben wir selbst oder mit anderen miterlebt, wie traurig und aussichtslos solche Geschichten enden – oder eben zu nicht mehr enden wollenden Schicksalen werden.
Autorin: Katharina Hengl-Schmidl, Obfrau Verein Behinderter Hund – Na und?
Buchtipp:
Katharina Hengl-Schmidl
„Gelähmte Hunde“
84 Seiten
Verlag: Books on Demand
ISBN-10: 3734742560
ISBN-13: 978-3734742569
Preis: 19,90