Dass Hunde in verschiedene Rassen aufgeteilt sind, hat einen einfachen Grund. Für unterschiedliche Aufgaben braucht man Hunde mit unterschiedlichen Fähigkeiten und Anlagen. Der Retriever muss die geschossene Ente aus dem Wasser apportieren, der Bloodhound der Fährte des Wilds auch nach Stunden zuverlässig folgen, der Teckel den Fuchs aus seinem Bau sprengen. Um diese Arbeiten im Dienste des Menschen optimal ausführen zu können, entwickelten sich nicht nur ganz verschiedene Körperformen. Gerade Anlagen und Wesen der Hunde mussten unterschiedlich, ja zuweilen gegensätzlich sein. Während ein Vorstehhund den aufgespürten Hasen lediglich anzeigen soll, muss der Windhund den Hasen hetzen und fassen. Selbst die Arbeit für denselben Hirten erfordert solche Gegensätze. Der Herdenschutzhund muss unter seinen Schafen verschmelzen und über Tage auf sich alleine gestellt die Herde vor Räubern schützen. Der Hütehund muss dagegen eng auf den Schäfer fixiert, dessen Kommandos exakt folgen. Herdenschutzhunde müssen selbstständig, imposant und auch aggressiv genug sein, den Wolf zu verjagen. Der Hütehund desselben Hirten hingegen flink, beweglich, arbeitsfreudig und wie beim Border Collie den ausgeprägten „Sheep Sense“ aufweisen.
Jede Rasse hat ihren Zweck
Über tausende Jahre hinweg wurden Hunde nach ihrer Arbeitsleistung für ganz bestimmte Produktionsaufgaben selektiert. Nur die Welpen gesunder und leistungsfähiger Eltern wählte der Hirte, Jäger, Bauer oder Händler. Bei meist karger Versorgung wurden extreme Leistungen abverlangt. Trotzdem beschreiben historische Quellen von Aristoteles bis Georges Cuvier eine Lebenserwartung von 15 Jahren als normal. Die klassische Hundezucht hatte für das Wohl der Hunde zwei entscheidende Vorteile: Selektiert wurde nicht nach Exterieur vielmehr nach Leistung, Wesen und Robustheit. Inzucht war eine Ausnahme, die bestenfalls in abgeschiedenen Tälern über längere Zeit hinweg auftrat.
Die Krux der Inzucht
Das sollte sich im 19. Jahrhundert grundlegend ändern. Mit der Industriealisierung verloren die meisten Hunderassen ihre Aufgaben in der Arbeitswelt. Zugleich boomte in den Städten der Wunsch nach einem Hund als Begleiter. Hunde wurden ab 1873 nach aufgeschriebenen Standards gezüchtet, mit Stammbäumen versehen und auf Ausstellungen nach ihrem Exterieur als rassetypisch bewertet. Um Rassehunde als Ware einheitlich und als die jeweils besonders typische zu vermarkten, wird gezielt Inzucht eingesetzt. Sie werden seither genetisch voneinander isoliert. So verarmt der jeweilige Genpool. Erbkrankheiten können sich in solchen genetischen Inseln in wenigen Generationen wie Seuchen verbreiten. Nach Äußerlichkeiten als Champions eingestufte Rüden kommen zudem überproportional häufig zum Einsatz, selbst wenn sie Träger gravierender Erbkrankheiten sind. Das ist ein grundlegender Fehler im Konzept der modernen Rassehundezucht, der längst zu einer Überlebens- und Tierschutzfrage geworden ist. In der Biologie sind die Gefahren durch Inzucht seit langem unstrittig.
Den gesamten Artikel findest du in Ausgabe 04/2012 .
Autoreninfo
Christoph Jung ist studierter Biologe und Diplom-Psychologe, Jahrgang 1955. Nach eigener, leidvoller Erfahrung initiierte er den „Dortmunder Appell“ und gründte die Tierschutzinitiative „Petwatch“ für eine Wende in der Rassehundezucht. Neben dem „Schwarzbuch Hund“ hat Jung „Bulldogs in Geschichte und Gegenwart“ und aktuell „Rassehund am Ende?- Sind Mischling, Nothund, Tierheimhund die Alternative?“ publiziert.