Haltung

Spaziergang – Gipfel des menschlichen Egoismus?

Sehr viele Hundehalter kennen das leidige Problem mit der Leinenführigeit. Man ist bemüht den Hund auszulasten und der dankt es einem damit, ständig in die Leine zu preschen. Schlechtes Training, hört der leidgeplagte Hundehalter dann oft von Trainern oder anderen Hundehaltern. Aber wie trainiert man die Leinenführigkeit und warum zieht der Hund überhaupt so?

Um dies schlüssig zu beantworten, sollten wir uns zunächst die Frage stellen, was wohl der Hund durch das Ziehen an der Leine bezwecken möchte. Ist er ein unerzogener Temperamentsbolzen, dem man noch ordentlich die Grenzen aufzeigen muss, oder liegt es in seiner Veranlagung, jeder Spur hinterher zu schnüffeln? Was erwarten wir uns vom täglichen Spaziergang und was erwartet sich unser Vierbeiner bzw. erwartet er sich überhaupt etwas? Der emanzipierte Hund spaziergangvon Welt muss überall dabei sein und sich von jedermann berühren lassen. Das erwarten wir Menschen von einem wohlerzogenen Hund, schließlich wollen wir zumindest etwas Dankbarkeit für die von uns entgegengebrachte Sympathie. Da hat der Hund echt schlechte Karten im Vergleich zur Katze, die mürrisch und launisch sein darf, ist ja schließlich eine Katze und die haben bekanntermaßen ihren eigenen Kopf.

Bester Freund, was willst du?

Hunde wurden als beste Freunde des Menschen auserkoren, also haben sie sich gefälligst auch zu jeder Zeit in jeder Situation so zu benehmen. Würde der beste menschliche Freund des Menschen uns also von einer Straßenseite zur nächsten reißen? Wohl nicht und wenn doch wäre er irgendwann die längste Zeit unser bester Freund gewesen und unsere Wege würden sich trennen. So ein egoistisches Verhalten duldet niemand auf Dauer. Jetzt stehen wir aber vor einem echten Problem: wie verklickern wir nun unseren Hunden den Ernst der Lage? „Mein lieber Hund, wenn du nicht schleunigst mit der Leinenreißerei aufhörst, werden sich unsere Wege bald trennen“, so könnte ein offenes Gespräch mit unserem Vierbeiner beginnen. „Mein lieber Mensch, wie kommst du auf die Idee, dass ich Gefallen am täglichen Trott mit dir habe? Seit Jahren gehen wir jeden Tag zwei elendslange, nicht enden wollende Stunden dieselbe Strecke. Ich kenne jeden Straßenpfahl, jeden Busch und jeden Baum. Es wohnen seit Jahren die gleichen Hunde entlang der Gassi-Strecke. Es ergibt sich nichts, rein gar nichts Spannendes, Abwechslungsreiches, Interessantes innerhalb dieser todlangweiligen zwei Stunden und du besitzt noch die Chuzpe mich zu fragen, warum ich in der – zugegeben trostlosen – Hoffnung, endlich mal etwas Neues zu entdecken, von einer Seite zur anderen laufe?“ So könnte die Antwort unseres Vierbeiners lauten, dem wir – aus Menschensicht – doch sowieso alles bieten. Eben – leider nur aus unserer Sicht.

Leinenführigkeit aus Hundesicht

Um zu verstehen, warum ein Hund also nichts von der Leinenführigkeit hält, sollten wir uns ein Beispiel an den Hunden selbst nehmen. Warum verfolgt der Jack Russell Terrier im Park den eben kennengelernten Dalmatiner auf Schritt und Tritt mit wild wedelnder Rute, während er bei unserem Spaziergang alles andere interessanter als uns findet? Ist doch logisch, weil es auch ein Hund ist, oder? Mitnichten. Es gibt zahlreiche Hunde, die sich selbst in einem Hundepark nur an ihren Besitzern orientieren und andere Hunde völlig links liegen lassen. Diese Hunde haben kreative Hundehalter, die ihren Vierbeinern irgendwann schlüssig vermittelt haben, dass sie für das Hundeleben eine echte Bereicherung sind. Sind wir für den Hund beim alltäglichen Spaziergang an der 2,20 m Leine eine Bereicherung, wenn er uns hinterher schleift?bannerspaziergang

Wie werden wir für den Hund interessant?

Ein den Hund weiter in seiner Freiheit und Entfaltung einengendes Leinentraining, damit wir Menschen bequem spazieren können, ist sicher nicht die Lösung. Beobachten wir nun andere Hunde, die zu zweit spazieren, verläuft deren Spur völlig anders als die des Menschen, oder haben Sie schon einmal zwei schnurgerade laufende Hunde auf einem Spazierweg gesehen? Während wir Menschen darauf achten, den Weg möglichst nicht zu verlassen, beispielsweise weil wir das falsche Schuhwerk anhaben, gibt es für Hunde nichts Spannenderes als ihre Nase einzusetzen und eine Fährte nach der anderen zu verfolgen.

Nasenarbeit – die Natur des Hundes

Dieses Verhalten ist weder besonders temperamentvoll, noch nur den Jagdhunden vorbehalten. Es ist schlicht die Natur des Hundes, es ist das, was einen Hund glücklich macht, es ist das, was ein Hundeleben bereichert. Ein schrittweises Umdenken ist meiner Meinung nach erforderlich. Ein halbstündiger, intensiver Ausflug, bei dem wir uns kurz vorher überlegen, welche artgerechten Aufgaben wir dem Hund dabei stellen, verschafft unserem Vierbeiner sicher mehr Auslastung und Abwechslung als jeder schnurgerade mehrstündige Spaziergang, bei dem er sich überwiegend unserer Geschwindigkeit anzupassen hat. Ganz egal ob wir unseren Hund heute eine spielerische Fährte legen, Futterdummys vergraben oder unterwegs kurze Konzentrationsübungen (Ablegen und Rufen nach einiger Entfernung, eine kurze Fuß-Sequenz, eine Strecke Beinslalom etc.) einbauen, das alles ist jedenfalls um ein vielfaches artgerechter und ich verspreche Ihnen, bei all diesen Übungen wird Ihr Hund nie an der Leine reißen, weil er sich voll auf Sie und Ihre neuen Übungen konzentrieren wird.

Der Geruchsinn ist des Hundes schärfstes Werkzeug, es gibt tatsächlich kaum einen Hund, egal ob Dogge oder Rattler, alt oder jung, der es nicht liebt, seine Nase zum Verfolgen einer leckeren Duftspur einzusetzen. Außerdem ist die Fährtenarbeit oder Spurensuche nicht nur geistig, sondern auch körperlich herausfordernd. Der Fantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt, denn selbst wenn es mal schnell gehen sollte, bieten sich der Garten oder die Wohnung zum Verstecken von Leckerchen an. Damit es kein unkon-trolliertes Schnüffeln wird, sollten Sie die Übungen gleich mit ein wenig Gehorsam verbinden und Ihren Hund erst dann von seinem Platz zu sich holen, wenn alle Leckerchen versteckt wurden. Erst auf Ihr Zeichen hin darf der Hund dann mit der Suche beginnen. Zu Beginn sollten Sie ihn etwas unterstützen und mit Fingerzeig und einem ruhigen „Such“ die ersten Leckerchen gemeinsam entdecken. Fortgeschrittene Schnüffler finden selbst in höheren Lagen (z.B. auf Tischen oder Kästen) versteckte Leckerchen. Um zu vermeiden, dass Ihr Hund gleich selbst auf Tisch und Bänken nach Schätzen sucht, sollten Sie auf sein Anzeigen hin schnell reagieren und ihn noch am Boden mit den aufgespürten Leckerchen belohnen.

Reizangel – sinnvoll und kontrolliert Energie abbauen

Um den Hund richtig auszupowern, eignet sich eine Reizangel perfekt. Sie ist auch ein hervorragender Ersatz für das ewige Ballwerfen, von dem manche Hunde nur noch mehr angestachelt werden. Außerdem ist das abprubte Abbremsen beim Aufnehmen des Balles auf Dauer nicht förderlich für Bänder und Gelenke. Hingegen ist der Bewegungsablauf beim Spiel mit der Reizangel flüssiger und harmonischer. Der Hund lernt zusätzlich auch in hoher Reizlage (sich bewegende Beute direkt vor der Nase) auf seinen Hundehalter zu hören, vorausgesetzt, dieser verbindet Gehorsamsübungen geschickt mit dem Beutespiel. Und eine Reiz-angel findet sich in jedem Haushalt, ein Besenstiel ist für den Anfang völlig ausreichend, die Frage ist nur, ob Sie dieses Bild Ihren Nachbarn erklären können.

Eine gezielte Beschäftigung des Hundes lastet ihn nicht nur wesentlich besser aus, sondern verbessert auch wirklich nachhaltig Ihre Beziehung zueinander. Der Hund lernt sich an Ihnen zu orientieren in der gemeinsamen Beschäftigung und wird Sie schon nach wenigen Wochen abwechslungsreich gestalteter Beschäftigungsphasen wesentlich interessanter finden als sämtliche Hunde um ihn herum. Wenn wir dem Hund die Beschäftigung bieten, die er so dringend benötigt und uns dann um eine gute Leinenführigkeit bemühen, ist der Weg sehr viel einfacher und erfolgversprechender.

Die Vielfalt der artgerechten Beschäftigungen ist so riesengroß, dass wir Menschen wirklich darüber nachdenken sollten, ob es der tägliche Spaziergang noch bringt und vor allem, warum wir uns so viele vermeintliche Probleme selbst machen und die Schuld aber letztlich immer beim Hund suchen. Wir Menschen sollten uns besser in die Lage unserer Hunde versetzen lernen und nicht umgekehrt. Die meisten Hunde orientieren sich von Welpenbeinen an ganz von allein an uns Menschen, erst wenn wir diesen Vertrauensvorschuss nicht für uns nutzen, werden wir für unsere Hunde – zu Recht – völlig uninteressant.