Sehr geehrter Herr Bürgermeister!
Mit großer Bestürzung habe ich von einem weiteren schrecklichen Beißunfall erfahren, in welchen einerseits ein sogenannter Listenhund (Pitbull-Mischling) verwickelt war, andererseits aber einmal mehr klar hervorgeht, dass der Halter des Tieres seiner Verantwortung in unzureichendem Ausmaß nachgekommen ist.
Mit ebenso großer Bestürzung habe ich die Schilderungen des Vorfalls gelesen. Ganze dreißig Minuten dauerte es, bis Verwandte das Opfer im Wald finden konnten. Ganze dreißig Minuten, in denen der zwölfjährige Bub mit dem Hund allein war und sich dessen Attacke nicht erwehren konnte. Niemand, der nicht selbst von einem Hund gebissen wurde, kann nur annähernd nachvollziehen, was dieser Junge erlebt hat. Glücklicherweise sollen laut Meinung der behandelnden Ärzte zumindest keine physischen Schäden zurückbleiben. Wie der Junge dieses Erlebnis psychisch verarbeiten wird können, kann niemand voraussagen.
Sehr geehrter Herr Bürgermeister, selbstverständlich ist es Ihre Pflicht, diesen Vorfall nicht unkommentiert zu lassen. Selbstverständlich ist es auch Ihre Pflicht, im Sinne der Bürger von Feldkirchen an der Donau zu handeln – dazu zählen übrigens auch sämtliche Hundehalter der Gemeinde. Ganz besonders ist es aber Ihre Pflicht, sich im Vorfeld jedweder Handlungen mit erfahrenen Experten auszutauschen und sich nicht der weder zielführenden noch lösungsorientierten Anlasspolitik von Wiens Umweltstadträtin Ulli Sima anzuschließen.
Zurück im Mittelalter, wenn Wissenschaft kein Gehör findet!
Sie geben an, die Haltung von Hunden mit erhöhtem Gefährdungspotential strenger zu reglementieren. Sehr geehrter Herr Bürgermeister – wie kommen Sie zu dieser Aussage, wenn die Veterinärmedizinische Universität Wien – also nicht irgendwelche Leute – in einer Studie beweisen konnte, dass erhöhtes Gefährdungspotential eben nicht an einzelnen Rassen festgemacht werden kann (siehe dazu ein Artikel, erschienen im Standard)? Eine durch Experten durchführte Studie darf nicht politischer Effekthascherei zum Opfer fallen – und die dadurch betroffenen Hunde sowie deren Halter schon gar nicht!
American Staffordshire Terrier, Bullterrier, Pitbull Terrier und weitere in Wien als Kampfhunde diskriminierte Hunde, gelten in vielen anderen Ländern der Welt als “nanny dogs”. Für eine zielführende und auf lange Sicht sinnvolle Politik im Sinne der Bürger von Feldkirchen an der Donau, ist es ebenso Ihre Pflicht sachliche FACHdiskussionen zu führen und sich nicht auf eine im Moment vor den Wahlen potentiell erfolgversprechendere Seite zu schlagen. In Österreich verrichten unzählige dieser Rassen täglich so wichtige Dienste als Therapie- oder Assistenzhunde, Rettungs- oder Lawinenhunde.
Sehr geehrter Herr Bürgermeister, Wien ist österreichweit das einzige Bundesland mit derart strengen Haltungsvorschriften für “Listenhunde”. Ulli Sima gab mehrmals an, Listenhunde generell aus Wien verbannen zu wollen und zeigt sich durch ihr persönlich motiviertes Handeln bei diesem Thema alles andere als tragbar in einem politischen Amt. Soll dies tatsächlich Vorbild für Sie sein, Herr Allerstorfer? An der Stelle sei auch dringend der Aufschrei und vehemente Protest der Tierärztekammer erwähnt. Im offenen Brief an Ulli Sima führen Dr. Manfred Hochleitner, Präsident der Landesstelle Wien sowie Dr. Eva Wistrela-Lacek, Vertreterin der Verhaltensveterinärmedizin, unter anderem aus: “Wie kynologische und juristische Expertinnen (Frau Prof Sommerfeld-Stur und Frau DDr. Binder) ausführen, ist keine wissenschaftlich korrekt durchgeführte Studie bekannt, die den Nachweis führt, dass Vertreter der gelisteten Rassen ein höheres Gefährdungspotential aufweisen als Hunde anderer Rassen vergleichbarer Größe und Statur. Vielmehr sind Verhaltensmerkmale niedrig heritabel und das Verhalten eines Hundes hängt sehr viel mehr von den Umweltbedingungen unter denen er aufgezogen und gehalten wird ab, als von den genetischen Grundlagen und damit von seiner Rassezugehörigkeit.” Dies sind demnach also wissenschaftliche Erkenntnisse und dürfen als solche in einer modernen bürgerorientierten Politik nicht ignoriert werden, denn die Zeiten, in der die Wissenschaft keinerlei Gehör fand, sind hoffentlich längst vorbei!
Euthanasie ist keine Lösung!
Weiters geben die beiden nun auch zu der von Ihnen innerhalb kürzester Zeit geforderten Euthanasie zu bedenken: “Ein weiteres Problem der verschärften Hundegesetzgebung stellt für die Tierärzteschaft die ex lege-Euthanasie dar. Diese ist nicht nur geeignet, TierärztInnen einem Gewissenskonflikt auszusetzen, sondern bringt auch ein Misstrauen gegenüber dem gesamten Berufsstand zum Ausdruck, da dieser u.a. dazu berufen ist, die physische und psychische Verfassung von Tieren sowie daraus resultierende Indikationen zur Vornahme einer Euthanasie auf individueller Ebene fachkundig zu beurteilen.”
Opfer im Koma – auch nach Dackelbiss
Die Tatsache, dass es sich bei dem Hund um einen Pitbull-Mischling handelte und das Bissopfer in künstlichen Tiefschlaf versetzt wurde, scheint Auslöser für Ihren panisch anmutenden Handlungsdrang zu sein. Ebenso heuer ereignete sich aber selbst mit einem kaum bis zu den Knien reichenden Dackel ein Beißunfall, bei dem das Opfer ebenfalls in künstlichen Tiefschlaf versetzt werden musste. Der Dackel war außerdem wie auch der Pitbull-Mischling mangelhaft beaufsichtigt, als es zu der Attacke kam.
Sehr geehrter Herr Bürgermeister, Sie erkennen hoffentlich auch die mangelnde Aufsicht sowie Fehler in der Haltung der betreffenden Hunde als einzigen gemeinsamen Nenner. Eine vom Volk zur Vertretungsperson gewählte Persönlichkeit, sollte sich im günstigsten Fall durch Stressresistenz und das Bewahren eines kühlen Kopfes auch und besonders in Krisensituationen auszeichnen. Die Verbreitung von Panik und Halbwissen übernehmen hierzulande leider in mehr als ausreichendem Maße bereits die Tagesmedien.
Appell um zielführende Politik und Auseinandersetzung mit Experten
Sehr geehrter Herr Bürgermeister Allerstorfer, ich appelliere an Sie aufrichtig das Gespräch mit Experten zu suchen, um eine wirklich zielführende Politik im Sinne der Bevölkerung zu gestalten. Bitte sehen Sie von “Vorbildern” ab, die sich in den letzten Jahren durch Aussagen wie “Natürlich ist es immer schön, aus der Zeitung zu lächeln” oder eine bewusste Inkaufnahme einer Spaltung der Bevölkerung hervortaten, nur um persönlich motivierte Ideen auf Biegen und Brechen durchzusetzen. Bitte suchen Sie das Gespräch mit Experten, die tagtäglich mit Listenhunden zu tun haben und diese nicht nur von Bildern kennen. Bitte machen Sie uns seriösen, verantwortungsbewussten Hundehaltern das Leben nicht noch schwerer, sondern bedenken Sie die Folgen Ihres Handelns für ALLE Betroffenen. Es ist nicht fair, all jenen verantwortungsbewussten Haltern von Pitbulls, Staffordshire Terriern und Co gegenüber, diese sowie ihre unauffälligen Hunde durch ausschließlich anlassbezogene Gesetzgebung pauschal zu kriminalisieren und diskriminieren.
Ich appelliere aufrichtig um Ihre zielführende Politik!
Hochachtungsvoll,
Bettina Bodner
Herausgeberin YOUR DOG Hundemagazin
