Ein jagender Beagle, ein temperamentvoller Dobermann, der bellende Cocker Spaniel oder der sture Dackel – beinahe jede Rasse hat eine Eigenschaft, die ganz klar mit ihr assoziiert wird. Und dennoch landen noch immer viel zu viele Hunde täglich im Tierheim oder werden gar ausgesetzt, weil ihre Halter mit ihnen überfordert sind oder sich gar nicht erst mit ihren Verhaltensweisen auseinandersetzen möchten. Rassetypische Verhaltensweisen sind aber nicht von der Hand zu weisen und wurden bei der Zucht konsequent selektiert.
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Wenn wir Menschen uns einen Hund aussuchen, läuft es nicht viel anders ab als bei der Partnersuche. In erster Linie orientieren wir uns an Optik, erst der zweite Blick – wenn überhaupt – untersucht Charakter und Verhaltensweisen. Unser Herzschlag erhöht sich, wenn wir ein optisch attraktives Individuum entdecken und wir verdrängen oft rationale Auswahlkriterien, die uns das Zusammenleben harmonischer gestalten lassen könnten.
Hunde nicht nach optischen Aspekten aussuchen!
Erst wenn wir aufhören, uns Hunde aus rein optischen Beweggründen auszusuchen, werden beide Parteien – nämlich Mensch und Hund – im Zusammenleben glücklich sein. Wir sind weit davon entfernt, uns Menschen eine gewisse optische Präferenz absprechen, jedoch müssen wir uns dessen bewusst werden, dass bei gewissen Rassen bzw. Rassegruppen durch Zucht gewisse Verhaltensweisen verstärkt oder reduziert worden sind. Bei der Tierart Hund gibt es übrigens erst seit ca. 160 Jahren eine Unterteilung in die unterschiedlichsten Rassen. Eine züchterische Auslese erfolgte dabei vorwiegend im Hinblick auf die Einsatz- und Gebrauchsfähigkeit des Hundes.
Erst in den letzten Jahrzehnten fokussierte sich die Zucht so massiv auf optische Kriterien – teils mit katastrophalen Folgen für Rasse und das einzelne Individuum. Sie sollten sich also vor der definitiven Anschaffung eines Hundes – unabhängig ob Welpe oder erwachsener Hund, groß oder klein, Züchter oder Tierheim – mit rassetypischen Verhaltensweisen auseinandersetzen und entscheiden, wollen Sie diese Verhaltensweisen in Ihrem Alltag oder können Sie diese zumindest tolerieren.
Wie schon erwähnt, werden weder Mensch noch Hund in einer unpassenden Konstellation glücklich. Wenn wir von rassetypischem Verhalten sprechen, kann das natürlich nur nach dem Pareto Prinzip (80:20) passieren. Nicht alle Kriterien werden immer zu 100 % auf jeden Hund der Rasse bzw. Rassegruppe transferierbar sein und trotzdem gibt es eine gute Orientierung bei der Auswahl eines Hundes. Sollten Sie Ihre Auswahl schon getroffen haben, wird Ihren die Klassifizierung nach Rassegruppen und deren Entstehung mehr Verständnis für ev. unerwünschte Verhaltensweisen Ihres Hundes geben oder Ihnen zumindest helfen, diese zu verstehen und mehr Toleranz dafür aufzubringen.
Genaue Infos über rassetypisches Verhalten beugen bösen Überraschungen vor
Zudem sollten Sie sich auch bewusst sein, dass es mittlerweile bei vielen Rassen eine sogenannte Show- und Arbeitslinie gibt. Bei der Showlinie steht primär das Aussehen im Vordergrund, wobei auch Modeeinflüsse eine große Rolle spielen. Arbeitsleistung hingegen findet weniger Beachtung. Sollten Sie demnach einen Vertreter einer Showlinie Ihr Eigen nennen, sollten Sie sich nicht darüber ärgern, dass dieser – wenn überhaupt – nur mit „Überredung“ zur Mitarbeit zu motivieren ist. Auf der anderen Seite genießen viele Rassen der Showlinie den Vorteil, dass diese eher phlegmatisch, weniger sensibel und daher auch schwerer zu traumatisieren sind.
Wie immer kein Nachteil ohne Vorteil oder andersrum. Wir stellen immer wieder fest, dass das wohl am häufigsten reklamierte Verhalten der Hundebesitzer die mangelnde Leinenführigkeit ist. Dafür kann es natürlich vielerlei Gründe geben. Oft wurde es gar nicht oder mangelhaft aufgebaut und gelernt oder der Hund bzw. der Mensch hat noch nicht verknüpft, dass Leinenführigkeit auch heißen kann, „wer führt wen – wer orientiert sich an wem“. Erschwerend kommt dazu, dass einige Rassegruppen (z.B. Herdenschutzhunde, Solitärjäger bzw. Hunde vom Urtyp) auf den selbstständigen Einsatz gezüchtet wurden und die Zusammenarbeit mit dem Menschen bei der Zuchtauswahl nicht im Vordergrund stand.
Hund muss zu Lebensumständen passen
Diese Rassegruppen finden auf der anderen Seite gerade durch ihre ausgesprochene Selbstständigkeit ihre Liebhaber. Laut deren Aussage möchten diese Besitzer gar keinen „Labi, der sie nur anhimmelt“. Wenn man sich dessen bewusst ist, den Vierbeiner in unserer Gesellschaft entsprechend halten kann und auch dem Hund ein Umfeld bieten kann, das ihn glücklich macht, spricht nichts dagegen. Besonders bemitleidenswert finde ich es jedoch, wenn Herdenschutzhunde in kleinen Wohnungen vegetieren und Huskys (welche zumeist aufgrund des rein optischen Faktors ausgewählt wurden) in der Stadt an kurzer Leine gehen.
Eigenschaften im Verhalten resultieren aus jahrzehntelanger Selektion
Dass unerwünschtes Jagdverhalten den Platz 2 belegt, scheint bei näherer Betrachtung auch nicht verwunderlich. Wir vergessen sehr häufig, dass neben der Bewachung von Haus, Hof und Vieh, die Entstehung und Weiterzucht der meisten Hunderassen durch den Einsatz bei der Jagd bedingt war. Hunde waren immer schon unentbehrliche Jagdpartner des Menschen – egal ob es darum ging, Tiere aus dem Bau zu treiben, Wild aufzuspüren oder geschossenes Wild dem Menschen zu bringen. Schaffen wir uns also als „Normalverbraucher“ einen Jagdhund an, sollten wir es als unsere Pflicht ansehen, ihm eine entsprechendes Alternative zur Beschäftigung anzubieten. Apportieren bzw. alle Beschäftigungsformen, wo der Hund seine Nase einsetzen kann, sind besonders gut geeignet. Zudem sollte ein verlässlicher Abruf aufgebaut werden. Mit zielgerichtetem Training kann ich bei jedem Hund – egal welcher Rassegruppe zugehörig – eine Menge erreichen. Jeder Hundebesitzer sollte sich dennoch dessen bewusst sein, dass jede Rassegruppe, bedingt durch zuchtbedingte Selektion, ihre Eigenschaften und Verhaltensweisen in sich trägt. Manchmal kann man eben auch durch Genetik an natürlichen Grenzen stoßen.
Egal, ob Sie einen „Freidenker“, „Arbeitsjunkie“, „Checker“ oder „Couchpotatoe“ zu Hause haben, wenn Sie sich über die rassebedingten Rahmenbedingungen im Klaren sind, bin ich überzeugt, dass Sie in Zukunft mehr Verständnis für die eine oder andere „Verhaltenskreativität“ Ihres Hunde aufbringen können. Und das ist nur fair so.
Autorin:
Mag. (FH) Lenka Schlager leitet nach einer intensiven 2-jährigen Hundetrainer-Ausbildung bei Martin Rütter in Bonn erfolgreich ihre Hundeschule im Raum Mödling. Neben Einzel- und Gruppentraining bietet sie Seminare und Themenabende zu unterschiedlichen Themen an. Dabei liegen ihr die Schwerpunkte Kommunikation und Körpersprache sowie Verhaltensmodifikation bei Alltagsproblemen besonders am Herzen.
Neben ihrem Lebensgefährten leben noch Chihuahua-Yorkie Mix Watschki und Boxerhündin Elfi im gemeinsamen Heim in Gießhübl bei Wien.